Katzenbach: Kriminalroman (German Edition)
da.«
»Es ist kaum vorstellbar, dass wirklich
niemand etwas gesehen hat, dort sind doch immer Leute«, meinte Streiff. Über die
Medien hatte die Polizei nach Zeugen gesucht, nach Personen, die am Montagvormittag
jemanden mit einem Baby auf dem Arm am Ufer des Katzenbachs gesehen hatten. Aber
bisher waren keine Meldungen eingegangen.
Streiff
und Elmer saßen in Streiffs Büro, vor sich die Berichte des Kriminaltechnischen
Dienstes und ihre eigenen Notizen. An diesem Nachmittag war es kühler und es nieselte
leicht. Das Fenster stand offen. Sie tranken einen Kaffee aus Streiffs eigener Kaffeemaschine,
denn er mochte den Automatenkaffee nicht.
»Wir müssen
jetzt einfach abwarten, ob Saxer und seine Leute Spuren von Greta Attinger oder
Sibel Evren am Wagen oder in der Umgebung finden«, sagte Elmer. »Hältst du es für
wahrscheinlich, dass es die Praxisassistentin gewesen sein könnte?«
Streiff
schüttelte den Kopf. »Höchst unwahrscheinlich. Eher die Großmutter. Die hatte ein
starkes Motiv und die Gelegenheit.«
»Genauso
wie die Mutter und der Vater«, ergänzte Elmer.
»Ja, es
war wohl eine Tat innerhalb der Familie«, stimmte Streiff zu.
»Die Frage
ist, wie wir es nachweisen können, wenn nicht einer von beiden die Belastung nicht
mehr aushält und zusammenbricht. – Ob sie es zusammen getan oder beschlossen haben?«
»In dem
Fall hätte sicher der Vater die Tat ausgeführt. Das hätte er kaum auf seine labile
Frau abgeschoben.«
»Wir müssen
sie getrennt hierherbestellen und befragen und hoffen, dass wir einen von ihnen
knacken können.«
»Wenn die
Mutter es getan hat, wird sie irgendwann gestehen, vermute ich«, meinte Streiff,
»aber wenn sie ihren Mann schützt, hält sie vielleicht durch.«
»Wenn der
Mann weiß, dass seine Frau die Täterin ist, wird er sie nicht verraten. Wenn er
selbst das Baby getötet hat – ich weiß nicht, dann muss er nicht nur sich selbst
schützen, sondern auch seine Familie«, überlegte Zita Elmer.
»Mir geht
diese Lieselotte Bär nicht aus dem Kopf«, wechselte Streiff das Thema. »Wo mag sie
nur sein?«
In diesem
Moment kündigte ein Piepston aus dem Computer den Eingang eines Mails an. Es war
von der Polizei Einsiedeln. Sie hatten herausgefunden, dass Lieselotte Bär die letzten
beiden Nächte in einer kleinen Pension im Dorf übernachtet hatte. Sie war allerdings
an diesem Morgen abgereist.
»Wir müssen
hin«, beschloss Streiff. »Zuerst müssen wir uns ein Foto von der Frau beschaffen.
Die Heiniger hat sicher eines in den Akten.« Er stürzte den Rest seines Kaffees
hinunter, während Elmer ihren stehenließ.
Sie glaubte
nicht so recht an die Möglichkeit, dass Lieselotte Bär etwas mit dem Fall zu tun
hatte. Aber natürlich musste man auch dieser Spur nachgehen. Vermutlich hatte die
Frau einfach ein paar Tage Ferien gemacht. Drei Tage in einer billigen Pension in
der Innerschweiz, in einem Gebiet, in dem man spaziergehen und günstig essen konnte,
das konnte sie sich vielleicht gerade noch leisten.
Das Foto,
das Antonia Heiniger ihnen ausdruckte, zeigte eine blonde, blasse Frau, ein etwas
aufgedunsenes Gesicht, wahrscheinlich von den Medikamenten, die sie nehmen musste.
Sie blickte ernst, die Augen waren ausdruckslos.
Nach einer
knappen Stunde kamen die beiden Polizisten in Einsiedeln an. Polizist Gyr fuhr mit
ihnen zur Pension Kälin, wo die Frau gewohnt hatte. Elsbeth Kälin erkannte sie auf
dem Foto.
»Ja, das
ist die Frau, die bei uns ein Zimmer hatte«, bestätigte sie.
Das Zimmer
war noch nicht wieder hergerichtet, und Streiff und Elmer konnten sich darin umsehen.
Auf den ersten Blick gab es nichts her. Im Papierkorb fanden sich Wattestäbchen,
ein Prospekt mit Wandervorschlägen für die Region, Schokoladepapier und eine leere,
zusammengedrückte Colapetflasche. Die Petflasche steckte Elmer in eine Plastiktüte.
Sie öffnete das Badezimmerschränkchen und die Nachttischschublade; beide waren leer.
Streiff schaute in den Kleiderschrank. Im untersten Fach lag, ganz hinten und auf
der weißen Unterlage kaum sichtbar, ein weißes Babymützchen, aus dünnem Garn gehäkelt.
»Na, so was.« Er verstaute es sorgfältig in einer Tüte.
»Kennen
Sie dieses Käppchen, gehört das Ihnen?«, wandte er sich an die Pensionsinhaberin.
Die guckte
erstaunt. »Nein, das habe ich noch nie gesehen. Das muss die Frau liegen gelassen
haben.«
»Oder vielleicht
ein Gast, der vor ihr in diesem Zimmer logierte?« Elmer wollte ganz sichergehen.
»Nein,
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