Katzenbach: Kriminalroman (German Edition)
Nadine
habe ich angesehen, dass sie mit diesem Baby unglücklich war. Nadine ist nicht stark.
Ich verstehe ohnehin nicht, wie Stefan auf diese Frau verfallen konnte. Sie kommt
aus ganz gewöhnlichem Haus, ist nicht einmal besonders hübsch. Ein Hausmütterchen,
ein Mauerblümchen. Eine einfache Bankangestellte. Ich dachte, ich könnte sie überzeugen,
wenn Stefan nicht da war.«
»Nadine
Attinger ist sehr verzweifelt über den Tod ihrer Tochter«, sagte Zita Elmer ganz
ruhig. »Sie wollte Luzia nicht weghaben. Sie, Frau Attinger, haben sich an ihr gestört.
Sie wollten sie, wie Sie ja zugeben, am liebsten wegsperren. Haben Sie das Baby
aus dem Kinderwagen genommen und in den Bach geworfen?«
»Was fällt
Ihnen ein?«, rief die Frau.
»Sie waren
dort, Sie hatten die Gelegenheit und Sie hatten ein Motiv«, doppelte Streiff erbarmungslos
nach. »Haben Sie Ihre Enkelin Luzia umgebracht?«
»Nein! Ich
habe Ihnen doch gesagt, dass es Nadine war. Es kann gar nicht anders gewesen sein.
Stellen Sie meiner Schwiegertochter diese Fragen! Und jetzt gehen Sie, gehen Sie!«
Sie stand
auf, atmete heftig, wurde rot und blass und ließ sich wieder in den Fauteuil sinken.
»Mein Herz, ich muss aufpassen«, murmelte sie.
Wieder sahen
sich Streiff und Elmer kurz an. Sie blufft, hieß dieser Blick.
»Auch Ihr
Sohn war zur fraglichen Zeit beim Tatort«, legte Streiff nach. »Könnte Ihrer Meinung
nach er es gewesen sein? Haben Sie ihn vielleicht beobachtet?«
Sie starrte
ihn an. »Mein Sohn bestimmt nicht. Hören Sie auf mit Ihren unverschämten Verdächtigungen.
Lassen Sie mich endlich allein.«
»Einen Moment
noch.« Elmer packte einen kleinen Drucker aus, schloss ihn an den Laptop an und
druckte das Protokoll aus. »Ich möchte Sie bitten, Ihre Aussagen zu unterschreiben.«
Die alte
Frau überflog die Seiten unwillig und kritzelte dann ihre Unterschrift hin. Streiff
und Elmer standen auf. »Sie werden wieder von uns hören. Wenn Ihnen noch etwas in
den Sinn kommt, rufen Sie mich an.« Streiff legte seine Karte auf den polierten
Couchtisch. »Wir finden allein hinaus.«
»Was meinst
du?«, fragte Zita, als sie wieder im Wagen saßen und durch die Stadt der Autobahn
zusteuerten.
Er zuckte
die Schultern. »Zutrauen würde ich es ihr durchaus. Sie ist eine selbstgerechte,
herrische alte Frau. Sie hat es schlecht vertragen, dass die Familie ihres einzigen
Sohnes nicht so perfekt war, wie sie sich das vorgestellt hatte. Und ihr Sohn weigerte
sich, ihre Forderung zu erfüllen; er stellte sich klar auf die Seite seiner Frau,
seiner Familie. Nicht ausgeschlossen, dass sie die Dinge auf ihre Art wieder in
Ordnung bringen wollte.«
»Aber für
eine solche Tat braucht es doch einiges«, wandte Zita ein.
»Das braucht
es bei Mord immer«, warf er trocken ein. »Vermutlich ist sie schon mit der Absicht
nach Zürich gefahren, mit ihrer Schwiegertochter zu reden, zu versuchen, sie unter
Druck zu setzen, das Baby wegzugeben. Aber dann, stell dir die Situation vor, kommt
sie zum Haus, Nadine ist nicht zu sehen, aber der Kinderwagen unter dem Baum, darin
schläft Luzia, Luzia, wie sie halt aussieht, mit ihrem bärtigen Gesichtchen. Die
Großmutter schaudert, aus einem plötzlichen Impuls heraus nimmt sie den Säugling
aus dem Wagen, eilt mit ihm zum Bach, wirft ihn hinein und macht sich davon.«
»Und das
gilt auch für den Vater«, ergänzte Zita. »Er macht sich große Sorgen um seine Frau,
merkt, dass sie in eine Depression abgleitet, kann nicht mit ihr darüber reden,
fährt, von Unruhe getrieben, mitten am Vormittag nach Hause – und ein paar Sekunden
lang scheint ihm das die Lösung des Problems zu sein: Wenn das Baby weg ist, wird
alles wieder wie früher sein.«
»Wir lassen
die Spurensicherung nochmals kommen«, beschloss Streiff. »Sie sollen den Tatort
gezielt nach Spuren von Greta Attinger und Stefan Attinger absuchen. Und von Sibel
Evren. Wir müssen uns DNA von ihnen besorgen lassen.«
Stefan Attinger hielt das Telefon
ein wenig von seinem Ohr weg. »Mutter, bitte, schrei nicht so. Natürlich hätte ich
dich angerufen – nein, du sollst jetzt nicht herkommen – ja, ich weiß – für uns
auch.« Er schwieg. Nadine stand neben dem Telefon, mit hängenden Armen, die Augen
weit aufgerissen, starrte sie ihren Mann an und schüttelte heftig den Kopf. »Sie
soll nicht herkommen«, flüsterte sie panisch. Stefan strich ihr beruhigend über
den Arm und nickte.
»Ja, Mutter,
ich verstehe das. Hör mal, jetzt hör doch mal
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