Katzendaemmerung
die kompakte Gestalt des Sheriffs im Gang auftauchte. »Hier bin ich«, rief ich ihm zu. »Was brauchen Sie denn so lange?« Noch ehe er antworten konnte, hetzte ich weiter. Ich benutzte diesmal nicht die schmalen seitlichen Gänge zwischen den Kleiderstangen; recht unsanft schob ich stattdessen Röcke und Blusen zusammen und ließ so einen geradlinigen Durchgang bis hinüber zum Baldachin entstehen.
Soeben hatte ich die hinterste Stange freigeräumt, als Friedlander am Eingang erschien. »Was soll das Theater, Trait? Wollen Sie sich etwa hinter den Kleidern verstecken? Los, kommen Sie da raus!«
Ich ignorierte seinen Befehl mit einem breiten Lächeln. »Sehen Sie diesen Wandteppich hier, Sheriff? Ein schönes Stück, nicht wahr?«
Stöhnend kam Friedlander ein paar Schritte näher. Er sah offenbar ein, dass er gute Miene zum bösen Spiel machen musste. »Ja«, knurrte er, »und was soll damit sein?«
»Eine gute Frage«, lobte ich meinen Zuhörer. »Nun, auch Ihnen dürfte die ungewöhnliche Ausführung des Mittelteils aufgefallen sein, nehme ich an. Erkennen Sie, was es darstellt? Die Silhouetten zweier Katzen, rechts eine Löwin, links eine Hauskatze, sehen Sie? Sachmet und Bastet. Eine erstaunliche Simplifizierung von Form und Inhalt, finden Sie nicht auch?« Ich machte eine Kunstpause und blickte Friedlander über die Schulter hinweg an. Es war schwer zu beurteilen, ob er meinen Ausführungen zustimmte; nahezu regungslos verharrte seine Gestalt zwischen den Kleidern.
»Na, wie auch immer«, fuhr ich ungerührt fort, »Ihr Erstaunen wird keine Grenzen kennen, wenn Sie sehen, was sich hinter diesem Teppich verbirgt.« Mit der Eleganz eines Zauberkünstlers ließ ich die Hälfte des Baldachins zur Seite schwingen und befestigte die Ecke am oberen linken Rand …
Das, was sich im Folgenden abspielte, dauerte sicher weniger als eine Stunde, vermutlich waren es nur vierzig Minuten. Während ich diese Zeit aber durchlebte, hatte ich das Gefühl, um mehrere Jahre zu altern. Ich weiß, wie unzureichend Worte ein derartiges Empfinden ausdrücken können. Ich werde es aber dennoch versuchen:
Ich hatte kaum den Durchgang freigelegt, als sich glitzernde rot- und gelbgoldene Lichtspeere in die Kleiderkammer bohrten. Unwillkürlich kniff ich die Augen zusammen. Der Schein unzähliger Kerzen tauchte den Tempel in ein sonnengleiches Feuer. Jede glattpolierte Vase, jedes edelsteinbesetzte Amulett verstärkte die Wirkung um ein Vielfaches. Mein Erstaunen machte schnell einer überschäumenden Freude, ja einer hysterischen Genugtuung Platz. Endlich konnte ich Friedlander etwas vorweisen, das ganz eindeutig nicht meiner wirren Fantasie entsprungen war.
»Na, sehen Sie auch, was ich sehe?«, jubilierte ich. »Wollen Sie etwa jetzt immer noch behaupten, ich hätte mir diesen Schrein nur eingebildet?« Kichernd umtanzte ich eine breite Wasserschale und tätschelte den vergoldeten Kopf eines Schakals. »Darf ich vorstellen: Anubis. Netter Kerl, nicht wahr? Er geleitet die Toten ins Jenseits. Manche glauben sogar, er sei der Sohn der Bastet.«
Obwohl der Sheriff auch weiterhin stumm blieb, zeigte er sich von meiner Vorführung doch einigermaßen beeindruckt. Immerhin hatte ihn der magische Schimmer des Tempels mittlerweile in die Mitte des Vorraums gelockt. Friedlander wirkte wie hypnotisiert; mit langsamen, steifen Bewegungen schlurfte er auf den Durchgang zu.
Zufrieden wandte ich mich um und drang sofort tiefer ins Innere des Schreins vor. Ich war viel zu aufgeregt, um auf ihn zu warten; prahlerisch wie ein kleines Kind wollte ich meinem Gast jedes meiner kostbaren Spielsachen gleichzeitig zeigen.
Ich passierte gerade die matt glänzende Statue eines sitzenden Falken, als ich hinter mir ein schwaches Rasseln vernahm. In meiner Überdrehtheit verschwendete ich jedoch keinen Gedanken daran. Stattdessen streichelte ich dem majestätischen Vogel aufmunternd über den Rücken. »Na, alter Horus, willst du unseren Besuch nicht gebührend begrüßen?« Der mächtige Himmelsgott ließ sich aber nicht dazu herab, mit Sterblichen zu kommunizieren. Unbeirrt starrte er auf die Mitte des Tempels. »Dann eben nicht.« Ein kleiner Formfehler bei der Etikette konnte meine gute Laune ganz sicher nicht vertreiben. Ohne jede Ehrfurcht vor der heiligen Stätte lief ich summend weiter.
»Kommen Sie, Sheriff!«, rief ich. »Treten Sie ein und staunen Sie. Habe ich Ihnen etwa zu viel versprochen?«
Je näher ich dem Zentrum des
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