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Katzendaemmerung

Katzendaemmerung

Titel: Katzendaemmerung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arthur Gordon Wolf
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davon?«
    Attiya, welche die Szenen sehr gelassen hingenommen hatte, bedachte mich auch jetzt mit einem süffisanten Lächeln. »Kein Grund zur Besorgnis, mein lieber Julius«, antwortete sie. »Wir sind hier auf dem Lande, und der Aberglaube ist auch noch in unseren Tagen hier sehr verbreitet.«
    »Aberglaube?«, verwunderte ich mich.
    »Ganz einfach«, mischte sich mein Onkel ein, »die verrückten Weiber sind halt fest davon überzeugt, dass meine Frau und Natascha den ›bösen Blick‹ besitzen.« Wie er es sagte, klang es so beiläufig, als drehte es sich dabei um Haarmode oder Kleiderfarben. Dem war aber nicht so. Keineswegs. Umso mehr erstaunte mich die Ruhe des Paares.
    »Wie kommen diese Frauen nur auf diesen Unfug?«, wollte ich wissen. »Sie müssen doch einen Grund für diesen unsinnigen Glauben haben.«
    »Einen Grund?« Attiya lachte nun laut auf. »Wozu sollten Menschen einen Grund dafür haben, um andere zu verdammen? Schon von jeher reichten eine andere Nase, eine besondere Hautfarbe oder einfach nur besonderes Wissen aus, um einen Menschen – und ganz besonders Frauen – als verdächtig erscheinen zu lassen. Die Hexenhysterie, die schließlich auch bei euch in Amerika wütete, ist daher nur der vorläufige Abschluss einer schier endlosen Kette.«
    Erstmals konnte ich mir annähernd ein Bild davon machen, welch beschwerliches Leben Attiya an diesem Ort geführt haben musste. Als Waise und Angehörige einer Glaubensminderheit hatte sie sich ständig den Angriffen und Vorurteilen der übrigen Bevölkerung erwehren müssen. Aber sie hatte dennoch ihren Weg gemacht.
    Die Frage, die mich allerdings kaum einschlafen lässt, ist: ›Warum, in Gottes Namen, sucht sie gerade diesen Ort wieder auf?‹ Was erhofft Attiya, hier für sich und ihre Tochter zu finden? Sie ist ganz gewiss nicht allein aus sentimentalen Gründen in ihre Heimat zurückgekehrt. Nein, dafür ist sie zu intelligent. Ich sehe es ihr an; sie verfolgt einen bestimmten Plan. Aber welchen?
    Mir will einfach keine schlüssige Antwort einfallen. Möglicherweise werden ja die kommenden Wochen das Geheimnis ans Tageslicht bringen; ähnlich, wie hoffentlich auch dieser elende Trümmerhaufen noch versteckte Schätze offenbaren wird.
    Ich muss lächeln. Ein gutes Zeichen. Trotz der recht deprimierenden Erfahrung am Nachmittag habe ich meinen Optimismus noch nicht verloren. Allerdings würde ich es momentan vorziehen, anstatt in Bubastis, in den Gedanken von Attiya zu graben.
    Die ›Archäologie des Geistes‹ wäre sicher nicht nur in diesem Fall eine lohnende Beschäftigung. Welche fantastischen Traumgebilde sich wohl dort entdecken ließen; imposanter als alle jemals errichteten Tempel der Geschichte. Gleichzeitig müssten derartige Forscher aber auch mit dunklen Abgründen rechnen, mit dantesken Höllen jedweder Couleur. Schließlich wird sich selbst in dem ehrbarsten Philanthropen eine finstere Seite finden lassen. Eine Eigenschaft, die uns Menschen wohl in der Natur liegt.
    Eine Reise in die Tiefen des menschlichen Verstandes wäre ein ständiger aufregender Balanceakt zwischen Licht und Schatten, Gut und Böse, Engeln und Dämonen. Zu schade, dass ich bei meinen Untersuchungen im glücklichsten Fall lediglich auf tote Materie, wie Knochen, edelsteingeschmückte Sarkophage oder goldene Totenmasken stoßen werde.
    Ich muss schon wieder lachen. Was schreibe ich hier überhaupt für einen Unsinn? Ich glaube, wenn ich jemals eine vormals ungeöffnete Grabkammer betreten sollte, werde ich jede noch so köstliche Traumvorstellung zum Teufel jagen. Was sind schon flüchtige Gedankengespinste gegenüber fassbaren, realen Wundern?! Ein Nichts!
    Ich werde noch ein wenig Herodot lesen und dann hoffentlich von ruhmreichen Entdeckungen träumen. Doch etwas lässt mich immer noch nicht los: Welches Geheimnis verbirgt sich wohl hinter der Frau meines Onkels? Könnte es sein, dass die einheimischen Frauen vielleicht doch einen Grund für ihre abergläubische Furcht haben? Und welche Bewandtnis hat es mit der koptischen Glaubensgemeinschaft der Bubasiten, deren geistliches Oberhaupt Attiya war (oder noch immer ist?), auf sich? Aus ihren gelegentlichen Äußerungen wird deutlich, dass sie noch immer an den alten Göttern ihrer Vorfahren festhält. Ich kann mich sogar des Eindrucks nicht erwehren, dass Attiya Horus, Neith oder ihre geliebte Bastet über Christus, den Erlöser stellt.
    Fragen über Fragen. Ganz sicher werde ich sie nicht gleich schon am ersten

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