Katzendaemmerung
Abend lösen können. Doch ich habe ja Zeit; Wochen … Monate …
26. Januar: Nach einem üppigen Frühstück, das uns von einer der Frauen aus dem Hause des Kaimakan gebracht wurde, machten Onkel Norm und ich uns auf den Weg zum Ruinenfeld. An unserem ersten Arbeitstag wollten wir uns lediglich einen allgemeinen Eindruck vom Zustand der ehemaligen Ausgrabungen verschaffen. Zudem führten wir bereits mehrere dünne Eisenstangen mit uns, um damit das neu avisierte Gelände abzustecken. Erst morgen wird mein Onkel mit Abû Tarik über nötige Arbeitskräfte und deren Bezahlung verhandeln. Pro Mann und Tag werden wir wohl nur zwei Piaster ausgeben müssen, kaum mehr als zwölf Pennies also.
Attiya und Damiyat blieben im Ort zurück. Wie sich Mrs. Peacham ausdrückte, wollte sie ›alte Freunde‹ besuchen und ihnen dabei ihre kleine Tochter vorstellen. Angesichts des überaus kühlen, ja abweisenden Empfangs den beiden gegenüber, bezweifelte ich allerdings, dass sich viele Türen vor ihnen öffnen werden.
Wir begannen unsere Besichtigung bei den Überresten des großen Bastet-Tempels, der vermutlich zur Zeit der vierten Dynastie errichtet wurde. Bei Erweiterungsarbeiten im Tempelbezirk wurden immer wieder alte Steine und Statuen neu verwertet. Naville entdeckte viele Statuen der Herrscher der zwölften Dynastie, die von Ramses II und dann wieder von Osorkon II verwendet wurden.
Vom Tempel aus wandten wir uns nach Nordwesten, wo sich etwa in vierhundert Yards Entfernung der große Katzenfriedhof erstreckt. Damals waren dort nur einige wenige Probegrabungen unternommen worden. Onkel Norm hofft nun, durch systematische Untersuchungen mehr Licht in den Katzenkult bringen zu können. Ich …
An dieser Stelle riss meine Lektüre abrupt ab. Immer noch halb auf dem sonnendurchfluteten Ruinenfeld im Ostdelta stehend, blickte ich verwirrt auf. Ganz langsam erkannte ich, wo ich mich tatsächlich befand. In meinem Büro in der Bloomfield Street; gemütlich zurückgelehnt im Sessel, die Beine ausgestreckt auf dem Tisch. Irgendwann musste ich – eher unbewusst – die Tischlampe angeknipst haben. Unbemerkt von mir hatte sich der Nachmittag in tiefe Nacht verwandelt.
Ich schwang die Beine vom Tisch und nahm wieder eine aufrechte Sitzhaltung ein. Misstrauisch beäugte ich die nun wieder geschlossene Lederkladde auf meinen Knien. Julius Blatchfords Erinnerungen hatten mich regelrecht hypnotisiert, mich fast jeden Gefühls für Raum und Zeit beraubt. Doch war das so verwunderlich? Blatchford und ich hatten mehr gemeinsam, als mir vielleicht lieb war. Der junge Student stocherte damals in den kläglichen Überresten eines Bastet-Tempels. Ich dagegen, der niemals ägyptischen Boden betreten oder irgendwelche archäologischen Ambitionen verspürt hatte, lebte in einem!
3. Kapitel
»Gottesdienst«
Yucca Springs, 1990
Ein Geräusch im Flur erinnerte mich daran, was den Bann schließlich gebrochen hatte. Mit einem dumpfen Dröhnen fiel die Wohnungstür ins Schloss.
Mia , schoss es mir durch den Kopf. Offenbar hatte sie ihre neuerliche Eskapade einmal früher als gewohnt abgebrochen. Ich wollte gerade aufstehen, um sie auf ironische Weise zu begrüßen (meine einzige noch verbliebene Waffe ihr gegenüber »Hi, Schatz, schon zurück? Was ist passiert? Ich hatte dich eigentlich erst übermorgen erwartet. Du wirst doch nicht etwa krank sein?«), als ein helles Lachen durch den Flur hallte. Es war das fröhliche Lachen einer jungen Frau, ein höchst angenehmer Klang. Allerdings gehörte die Stimme eindeutig nicht Mia.
Regungslos verharrte ich auf meinem Platz. Ein eisiges Kribbeln kroch langsam durch jeden Wirbel meines Rückgrates. Eine geradezu schon perverse Reaktion. Wie konnte ein derart positiver Reiz wie ein Lachen nur ein solch tiefes Grauen hervorrufen?
Alles nur eine Frage der Konditionierung, nicht wahr Mr. Pavlov? , hörte ich eine spöttisch klingende Stimme in meinem Kopf. Ohne nachzudenken, schaltete ich das Licht aus. Die Finsternis legte sich wie ein tonnenschwerer Ballen schwarzen Samtes über mich. Leise, durch den offenen Mund atmend, lauschte ich den näher kommenden Schritten.
Das Rascheln von Stoff. Undeutlich gemurmelte Worte. Erneutes Kichern, diesmal von beiden Frauen. Dann wurden die Stimmen wieder leiser. Als ihre Schatten an der halb geöffneten Tür entlang schwebten, verwandelte ich mich in eine weitere von Mias Steinskulpturen. Das durch die Teppiche zeitweise gedämpfte Klacken
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