Katzendaemmerung
Niemand drängte mich, und so kaute ich mein Brot so genüsslich wie ein ›Filet Mignon‹. Als ich den letzten Bissen mit einem Schluck Bier hinuntergespült hatte, war es bereits kurz vor elf. Meine Planung für den Rest des Abends sah höchst einfach aus: Auf tumbe Fernsehunterhaltung konnte ich nur zu gerne verzichten, und ganz sicher wollte ich nicht warten, bis meine beiden Nachtschwärmer von ihrer Dance-Tour zurückkehrten. Ich unterzog mich also einer kurzen Katzenwäsche, plagte mich mit fünfzehn Liegestützen ab und machte es mir dann auf dem Sofa in meinem Büro bequem. Seitdem ich dazu übergegangen war, Mias Gespielinnen nur noch mit meinen Augen zu genießen, blieb ich in diesen Nächten dem Schlafzimmer fern. Mithilfe einer dünnen Decke und eines Kissens ließ sich die Ledercouch in ein ganz passables Notbett umfunktionieren. Sie war etwas zu weich, doch mit der entsprechenden Rückengymnastik hatte ich möglichen Nachwirkungen bislang erfolgreich trotzen können.
Nur mit T-Shirt und Boxershorts bekleidet, streckte ich mich auf meinem Lager aus. Nachdem ich das Licht gelöscht hatte, drang nur noch der schwache Schein einer Straßenlaterne durchs Fenster. Ein schmaler graugelber Lichtkorridor, der sich kurz vor meinen Füßen unaufdringlich an Boden, Wand und Decke schmiegte. Ich schloss die Augen und versuchte, mich zu entspannen. Es gelang besser, als ich es erwartet hätte. Noch bevor sich das chaotische Kaleidoskop aus Gesichtern, Stimmen und Gefühlen in meinem Kopf zu einem klaren Gesamtbild zusammensetzen konnte, war ich eingeschlafen.
Ich hatte einen Traum, doch weder Mia noch Rosalie kamen darin vor; auch keine blutrünstige Löwin … Ich sah dafür eine kleine schwarze Katze, die sich genüsslich im Gras einer Sommerwiese rekelte. Ausgelassen machte sie Jagd auf Schmetterlinge und Grillen und schnupperte interessiert an jeder neuen Wildblume, der sie begegnete. Während ich die geschmeidigen Bewegungen des Tieres beobachtete, fiel mir plötzlich eine Besonderheit auf. Die Katze hatte leuchtend blaue Augen. Ihre Pupillen hatten dabei nicht die Form von senkrecht verlaufenden Schlitzen, sondern waren kreisrund.
Die Entdeckung beunruhigte mich. Ich wusste genau, dass ich die Katze kannte, ich konnte mich aber beim besten Willen nicht daran erinnern, woher. Das Tier sprang über ein kleines Rinnsal … und landete auf kahlem, staubigen Boden, umgeben von Backsteinruinen und Abfall. Diesmal musste ich nicht lange grübeln, um zu wissen, wo sie sich befand – wo wir uns befanden, um präzise zu sein. Mit einem Mal spürte ich nämlich den unebenen Boden unter meinen Füßen. Von meiner Position des außenstehenden Beobachters war ich direkt in die Szene übergewechselt.
Nur recht zögernd nahm ich die Verfolgung auf. Ich wusste auch so, wohin mich mein Weg führen würde.
Mit der Umgebung hatte sich gleichzeitig auch der Himmel verändert; eine dichte Masse aus blauschwarzen Wolken türmte sich am Horizont auf. Über dem gesamten Gelände lag ein anämisch fahler Lichtschimmer, der selbst das warme Rot der Mauersteine kühl erscheinen ließ.
Ich hatte gerade ein seltsames turmähnliches Gebilde umrundet (eine Ruine, die auf dem realen Trümmergrundstück nicht existierte), als der Bus vor mir auftauchte. Ich blieb stehen und betrachtete jedes seiner dunklen, meist zersplitterten Fenster. Im Inneren bewegte sich nichts. Die verbeulte Karosserie schien so tot wie all die anderen Dinge um sie herum zu sein. Doch warum fand ich mich dann immer und immer wieder an diesem Ort wieder? Was sollte ich hier? Das weißt du ganz genau , antwortete mir eine innere Stimme. Du sollst mit deinen Sünden konfrontiert werden, mit deinen und mit IHREN. Du sollst büßen und bereuen. Du weißt genau, dass der Bus nichts weiter ist, als ein riesiger, unförmiger Grabstein. Mit unsicheren Schritten kam ich näher. War das etwa des Rätsels Lösung?, fragte ich mich. Hatte das Wrack tatsächlich die Funktion eines mahnenden Sühnezeichens? Und wenn ja, welcher Sünde hatte ich mich überhaupt schuldig gemacht? Ich hatte Joy schließlich nicht ermordet.
Aber du hast einen Mord vertuscht , entgegnete mir die Stimme, aus der ich nun deutlich meinen alten ›Advocatus diaboli‹ heraushörte. Das ist kaum weniger verwerflich, als die Tat selbst.
Aber eigentlich war es doch kein Mord , argumentierte ich, eher ein bedauerlicher Unglücksfall.
Bedauerlicher Unglücksfall? Dass ich nicht lache. Erzähl’ das doch
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