Katzendaemmerung
einfach mir nichts, dir nichts verschwinden würde. Nein, nein, so taktlos bin ich nicht. Enttäuscht bin ich allerdings darüber, dass Sie mir erst heute einen Besuch abstatten. Ich hatte Sie eigentlich schon viel früher erwartet. Ohne meine kleine Freundin hier hätte ich wohl noch bis in alle Ewigkeit darauf warten müssen, oder wie sehen Sie das, Thomas?« Bei diesen Worten drückte sie der Katze einen sanften Kuss auf die Stirn und setzte sie auf den Boden.
»Ich bitte vielmals um Entschuldigung«, entgegnete ich nervös, »aber ich dachte … ich hielt Sie für … Geht es ihnen wirklich gut?«
»Gut? Nun ja, wie man’s nimmt.« Sie machte eine abwertende Handbewegung. »Den Umständen entsprechend, trifft die Sache wohl eher. Das hier ist nicht gerade ein Bungalow in Venice, aber man gewöhnt sich ja an alles … irgendwie.« Mit einem Ruck schob sie die Tür weiter auf. »Aber kommen Sie doch herein. Sie müssen unbedingt einen Blick in meine gute Stube werfen.«
Trotz Joys Erscheinen war meine Angst vor dem Bus nicht gewichen. Das Gefühl hatte eher noch an Intensität gewonnen. »Nein … nein danke«, wehrte ich ab. »Ich hab’ momentan leider überhaupt keine Zeit. Dringende Terminsachen, verstehen Sie?«
Joys Lippen pressten sich zu einer schmalen Linie zusammen. »Aber Thomas, das können Sie mir doch nicht antun, jetzt, wo Sie schon einmal da sind. Nur ein paar Minuten. Ich bitte Sie doch nur um ein paar Minuten Ihrer so kostbaren Zeit. Ist das etwa zu viel verlangt?«
»Nein, nein, überhaupt nicht, aber heute geht’s einfach nicht. Leider … Was halten Sie davon, wenn ich Sie morgen besuche; morgen wäre es bedeutend günstiger. Ich könnte mir den ganzen Nachmittag freimachen. Na, was sagen Sie, Joy?«
Ein zaghaftes Lächeln erschien auf ihrem Gesicht. »Wirklich Thomas? Und das ist ganz sicher keine billige Ausrede?«
Ich schüttelte nur stumm den Kopf.
»Den ganzen Nachmittag?« Ihr Lächeln verwandelte sich in ein glückliches Strahlen. Noch bevor ich wusste, wie mir geschah, war Joy die Stufen hinunter gehüpft und hatte ihre Arme fest um mich geschlungen. »Sie sind wirklich ein Schatz, wissen Sie das?«, flüsterte sie nahe an meinem Ohr.
Die leichte Berührung ihrer Lippen und der warme, sanfte Atem ließen mich nicht unbeeindruckt. Fast unwillkürlich erwiderte ich die Umarmung. Meine Hände berührten jedoch kein seidenes Kleid, sondern nackte Haut. Nackte, feuchte Haut.
»Aber vergiss’ es nicht«, flüsterte Joy, »du musst mich besuchen. Du musst mich unbedingt besuchen. Hörst du, Thomas? Es ist sehr wichtig. Ich warte auf dich.«
Forschend ließ ich meine Hand bis hinunter zu ihrem Po wandern. Von Haute Couture fehlte auch hier jede Spur. Joy war vollkommen nackt. Ihre seltsam feuchte Haut hinderte mich aber daran, den an mich gepressten Körper auch zu genießen. Meine Finger erinnerten sich plötzlich an eine ähnliche Berührung. Schon einmal hatten sie derart feuchte, ja nasse Haut liebkost. Sie glitten langsamer hindurch als durch Wasser oder Schweiß; die Substanz war zäher und dickflüssiger.
»Vergiss’ es nicht«, wiederholte Joy. »Du musst mich besuchen. Morgen. Hörst du, Thomas? Morgen. Es ist von größter Bedeutung … auch für dich.« Mit einem Mal klang ihr Flüstern wie ein heiseres Gurgeln; ihre Finger gruben sich klauenartig in meinen Rücken. Joy durchlief eine weitere Verwandlung, doch diesmal wollte ich nicht abwarten, bis sie abgeschlossen war. Die Rose war im Begriff, zu einer Venusfliegenfalle zu mutieren.
Ich versuchte, mich aus ihrer Umarmung zu lösen, doch sie hielt mich mit ungeheurer Kraft gefangen. Alles Zerren und Reißen war vergeblich.
»Denk’ an deinen Besuch«, hauchte sie mir ins Ohr. »Du hast es mir versprochen. Morgen. Ich werde warten.«
Ich zuckte zusammen. Joys gutturale Stimme wurde nun von einem widerlich süßlichen Kupfergestank begleitet. Schlagartig wurde mir klar, womit ich meine Hände besudelt hatte. Es war Blut. Blut, das aus großen Wunden fließen musste.
»Thomas, schauen Sie mich an.« Schon wieder hatte sich ihre Stimme verändert. Voller Grauen drehte ich meinen Kopf so weit wie möglich von ihr weg. Nur ein weiteres Täuschungsmanöver , dachte ich. So fest ich konnte, presste ich meine Augen zusammen. Mir war nun klar, dass es nicht Joy McMillian war, die mich hier umklammert hielt. Es war das widernatürlich zerfetzte Ding, in das Sachmet sie verwandelt hatte.
»Hören Sie mich, Thomas?«
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