Katzendaemmerung
verhallt, als ich aufsprang, um das kreischend dröhnende Etwas von einem Radio abzuschalten. Fast augenblicklich legte sich eine schwere Stille über die Wohnung. Ich nahm diese Veränderung etwas verzögert wahr, da sich ein lästig hoher Fiepton in meinem Ohr eingenistet hatte. Erst als die Nachwirkungen der Dauerbeschallung langsam abklangen, spürte ich die seltsam drückende Atmosphäre. Nachdenklich schaute ich mich um. Schon viele Male zuvor war ich allein in Bastets Domizil geblieben, und fast jedes Mal hatte ich die Stille in diesen archaisch anmutenden Mauern zu schätzen gewusst. Doch diesmal war es anders. Die Luft schien unmerklich zu vibrieren, zu leben. Alle Zimmer, Flure, Decken und Wände waren mit einem Mal Teile eines atmenden Organismus. Ich ging ein paar Schritte zur Tür und streckte vorsichtig die Hand aus. Beinahe meinte ich, feuchtwarm pulsierende Membrane zu berühren. Aber der widerliche Kontakt blieb aus. Meine Finger strichen lediglich über eine harte Eichenmaserung.
Meine Skepsis blieb aber auch weiterhin bestehen. Nur eine geschickte Täuschung , schoss es mir durch den Kopf. Es versteckt sich nur.
Die gesamte Wohnung hatte sich in ein monströses Etwas verwandelt, in eine von Sachmet geschaffene Kreatur. Sie schien jedes Quäntchen an dunkler Energie in sich aufgesogen zu haben.
Und dieses Ding beobachtete. Lauerte.
Mein paranoider Anfall dauerte nur wenige Minuten. Ich drehte mich noch immer behutsam um meine eigene Achse, jede auffällige Erscheinung des Raumes kritisch taxierend, als die unwirkliche Stille plötzlich in sich zusammenbrach. So, als wären zuvor sämtliche Geräusche durch eine unsichtbare Wand aufgestaut worden, brachen sie nun in einer einzigen massiven Woge über mir zusammen. Das leise Surren eines Autos draußen auf der Straße. Der Ruf einer Frau. Das Ticken der Büro-Uhr. Das kurze Aufheulen einer Sirene. Der schnelle Schlag meines Herzens. Ich glaubte, selbst die Atome in meinem Körper aufeinanderprallen zu hören.
Es atmet aus , war mein letzter wahnhafter Gedanke.
Als sich der reißende akustische Strom wieder in ein leise säuselndes Bachbett zurückgezogen hatte, musste ich über meine abstrusen Phobien lächeln. Da gab es nun genügend reale Dinge, die mich beunruhigen sollten, und was tat ich? Ich erfand neue.
Ein dezent knurrender Magen unterbrach meine Gedanken. Ich beschloss, Phobien Phobien sein zu lassen und mir stattdessen ein kleines Abendessen zu machen.
Auf dem Weg zur Küche schaute ich fast automatisch im Wohnzimmer vorbei, in dem Mia ihren Gast empfangen hatte. Noch bevor ich das Licht eingeschaltet hatte, nahm ich den süßlichen Duft von Rosalies Parfüm wahr. Wie ein seidiges Tuch schwebte er in der Luft.
Als sich der Raum erhellte, fiel mein Augenmerk sofort auf den Glastisch. Und tatsächlich: Noch immer standen dort Tassen, eine Teekanne, eine Dose mit Rohrzucker und Dessert-Teller. Mia hatte es offenbar nicht für notwendig erachtet, das gebrauchte Geschirr auch wieder abzuräumen. Es passte ins Bild. In dem Maße, in dem ihre erotischen Aktivitäten zunahmen, vernachlässigte sie leider auch ihre Pflichten als Hausfrau. Ich konnte mich schon fast nicht mehr daran erinnern, wann sie mir zuletzt eine schmackhafte Mahlzeit zubereitet hatte. Dabei verlangte ich von Mia ganz gewiss nicht, dass sie ständig wie ein aufgeschrecktes Huhn mit Staubwedel oder Kochlöffel durch die Wohnung schwirren sollte – Frauen mit einem übertriebenen Ordnungs- und Reinlichkeitssinn waren mir regelrecht zuwider –, um grundlegende Tätigkeiten wie Staubwischen, Geschirrspülen oder Wäschewaschen kam man aber nun einmal nicht herum.
Mehr oder weniger hilflos sah ich mit an, wie Mia auch diese Aufgaben immer bedenkenloser in meinen Zuständigkeitsbereich abschob.
Noch ein Thema, über das ich mit der Dame ein ernstes Wort zu reden habe, dachte ich. Göttliche Katze hin oder her. Momentan musste ich mich jedoch in mein Schicksal fügen. Ganz in der Rolle des trotteligen gehörnten Mannes, holte ich also ein Tablett, um das Teeservice abzuräumen. Es überraschte mich dabei kaum, dass ich fast auf eine meiner Foto-Mappen getreten wäre. Meine kläglichen Modeaufnahmen waren lediglich das Hors d’oeuvre für einen weitaus opulenteren Festschmaus gewesen. Eine entbehrliche Zierde, die nun wie ausgedientes Silvester-Konfetti am Boden lag.
Mein Abendessen bestand aus zwei Käsesandwiches mit Remoulade und einer Flasche ›New Amsterdam‹.
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