Katzendaemmerung
einmal der lieben Joy. Sie wurde ermordet, daran gibt es nicht den geringsten Zweifel. Ermordet – auf die kaltblütigste und grausamste Weise, die man sich nur denken kann, und DU weißt es!
Mittlerweile hatte ich den Bus erreicht. Ich schaute zum hinteren Eingang hinüber, und dort saß sie: meine schwarze Katze mit den blauen Augen. Reglos thronte sie auf der zweiten Stufe der Treppe und starrte mich an.
»In Ordnung, hier bin ich also«, rief ich ihr zu. »Du hast es wieder mal geschafft, mich zu deinem Lieblingsplatz zu schleifen. Und was nun? Wollen wir jetzt zusammen den Mond anheulen?«
Ihre seltsamen Augen starrten mich weiterhin nur stumm an. Als ich versuchte, mich vorsichtig zu nähern, verschwand das Tier aber augenblicklich zwischen den halb heraushängenden Falttüren.
»Hey Kitty, wart’ doch mal«, lachte ich. »Kitty … Kitty … Kitty …«
Vor dem Eingang machte ich allerdings abrupt halt. Eine unerklärliche Angst hielt mich davon ab, das Innere zu betreten. Etwas hielt sich dort verborgen, ich spürte es genau, und es war nicht die kleine Katze. »Nun komm’ schon, Kätzchen«, versuchte ich es weiter. »Kitty-Kitty-Kätzchen …«
Die Finsternis verharrte … lauschend. Ich begann zu zittern. Auf einer vollkommen abstrusen Meta-Traum-Ebene sah ich mich plötzlich in der Rolle von Harry Dean Stanton im ersten der ›Alien‹-Filme. Stanton hatte in einer höchst verstörenden Szene – ähnlich wie ich nun im Traum – versucht, eine entsprungene Katze einzufangen … Zunehmend nervös folgt er dem Miauen des Streuners und begibt sich dabei immer tiefer in die höhlenartigen Eingeweide des Raumfrachters ›Nostromo‹. In einer düsteren Lagerhalle endet schließlich die Verfolgungsjagd. Stanton ist so sehr mit der Suche beschäftigt, dass er gar nicht die Anwesenheit eines weiteren Lebewesens bemerkt. Erst als die Katze ein warnendes Fauchen ausstößt, wird auch er misstrauisch. Doch es ist bereits zu spät. Als er sich umdreht, sieht er sich einem riesigen Monster gegenüber, einem blutgierigen Albtraum aus Schleim und Zähnen. Unendlich vielen Zähnen …
Ich erwartete zwar nicht, einem Alien zu begegnen, im Inneren des Wracks konnten jedoch auch andere Schrecken auf mich lauern. Doch welche? Ich wusste im Grunde nicht, wovor ich mich fürchtete, ich ahnte nur, dass dieser Ort weit mehr war als nur ein Sühnezeichen für meine Verfehlungen.
Ich stand immer noch abwartend im Eingang, als plötzlich eine Gestalt vor mir auftauchte. Aufstöhnend wich ich zurück. Das lautlose Erscheinen versetzte mich derart in Panik, dass ich nur noch an Flucht dachte. Das Monster … das Monster«, war alles, was mir durch den Kopf ging. Ich war ihm in die Falle gegangen, obwohl ich seine Höhle nicht betreten hatte. Kopflos stürzte ich davon; stolpernd, schreiend, auf Händen und Füßen.
Trotz aller Furcht nagte aber auch die Neugier in mir. Ich musste unbedingt wissen, wie meine Nemesis aussah. Koste es, was es wolle.
Wie Lots Frau drehte ich mich um … und erstarrte.
Vom Eingang her lächelte mir keine Ausgeburt der Hölle, sondern eine schlanke attraktive Frau zu. Lässig lehnte sie im Spalt zwischen den Falttüren, die Katze hielt sie zärtlich an sich gedrückt.
Völlig verwirrt betrachtete ich die Erscheinung. Die Fremde trug ein elegantes Seidenkostüm von Louis Dell’Olio. Die exklusive Kleidung und die kunstvoll hochgesteckten Haare wirkten an diesem Ort so fehl am Platz, wie Rosen in einer Schlammgrube.
Nur ganz langsam gewann ich wieder Kontrolle über meine Beine.
»Das kann nicht sein«, stammelte ich. »Unmöglich … einfach unmöglich.« Dennoch bewegte sich mein Körper wie von selbst auf die Frau zu.
»J-Joy?«, stammelte ich. »Joy, sind Sie das?«
Ihr Lächeln wurde eine Spur breiter. Sie kraulte die Katze, bis das Tier wohlig schnurrte. »Hallo Thomas. Schön, Sie zu sehen.«
Ich konnte es nicht fassen; selbst das Timbre ihrer Stimme passte. Es gab keinen Zweifel. Vor mir stand niemand anderes als die Lektorin von ›Daguerre Books‹, und sie sah genauso aus, wie damals bei unserem ersten Treffen im Sherman-Park. Als ich näher kam, erkannte ich sogar ihre goldschimmernden Lackschuhe von Yves Saint Laurent wieder.
»Sind Sie es wirklich? … Ich dachte, Sie wären … Sie wären …«
»Umgezogen?«, beendete Joy den Satz. »Aber nein Thomas; schließlich haben Sie mich doch erst kürzlich hier einquartiert, nicht wahr? Wie sähe es da aus, wenn ich dann
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