Katzenhöhle
wie losgelassene Stiere, die alles unter sich zermalmten. Nur die Ängste der kleinen Lena nicht, die sich tiefer und tiefer in den Plüschsessel drückte. Niemals würde sie sich da vor wagen, ihr blieb immer nur der Platz im Dunkeln …
Stille.
Verwirrt sah Lena Cedric an. Sie hatte ihm gar nicht mehr richtig zugehört, verloren in ihren eigenen Gedanken. Er musste sie etwas gefragt haben.
»Halten Sie das für keine gute Idee?«
»Entschuldigung, ich hab grad an was anderes gedacht.«
»Natürlich, wie dumm von mir. Beim Tod der eigenen Schwester – ich bitte Sie! Ich muss mich bei Ihnen entschuldigen.« Mitfühlend legte er eine Hand auf die ihre.
Wie warm sie war, wie unendlich warm und weich. Und viel zu groß. Ihre eigene Hand verschwand völlig darunter. Aber das machte nichts, das war ein guter Platz – aufgehoben, sicher, wie in einer Höhle.
»Ich weiß nicht, ob Sie und Ihre Eltern einverstanden sind. Eine Trauerfeier in so großem Stil wird natürlich die Presse aufmerksam machen. Und dann stellt sich auch die Frage, wo der beste Ort dafür wäre – vielleicht doch in London. Andrerseits wäre das ein optimaler Zeitpunkt, gleich nach der Einäscherung.«
»Eine Feuerbestattung kommt nicht in Frage. Die Polizei hat mir gesagt, dass bei einem ungeklärten Todesfall der Staatsanwalt da nicht zustimmen wird. Man weiß ja nicht, ob die Leiche nicht noch mal exhumiert werden muss.«
Sie sagte das automatisch. Seine Finger beanspruchten ihre ganze Aufmerksamkeit. Sie lagen immer noch auf ihren eigenen. Wie lange würde er sie wohl dort lassen? Bis in alle Ewigkeit, bitte … Aber der Kellner guckte schon, der dachte sich bestimmt seinen Teil. Sollte er doch! Hauptsache, Cedric nahm seine Hand nicht weg. Jetzt fing er sogar an, über ihre Finger zu streichen.
»Ich sollte Sie mit diesen Dingen nicht belästigen, ich weiß. Sicher ist der Schock noch zu groß. Am besten, ich bespreche das mit Larissa, Miras Agentin. Sie ist es gewöhnt, sich mit unangenehmem Organisationskram zu befassen.«
Das Streicheln ließ nach. Er sah anders aus. Wie bloß – bedrückt und voller Kummer? Dachte er an Mira, seine große Liebe? Jeder wusste, dass die beiden ein Traumpaar par excellence gewesen waren. Und Schwierigkeiten gab es schließlich überall. Lena hatte keine einzige Fernsehübertragung mit Mira versäumt und auch sonst alles verschlungen, was mit ihrer berühmten Schwester zu tun hatte.
»Vielleicht sollten Sie mal auf andere Gedanken kommen, Lena. Ich darf doch Lena sagen?« Die Gefühlswallung schien vorbei zu sein, das Streicheln setzte wieder ein. »Wie wär’s, wenn Sie Larissa und mich morgen auf den Jazzer Faschingsball im Leeren Beutel begleiten?«
Vor zwei Stunden hatte ihr Chef Julian den gleichen Vorschlag gemacht, aus demselben Grund. Dabei wusste Lena, dass Julian es war, der auf andere Gedanken kommen musste – sonst würde er ständig über seine Situation in der Firma nachdenken. Auf der Damentoilette hatte sie zwei aufgetakelte Büromiezen darüber reden gehört. Lena beteiligte sich nicht am allgemeinen Firmengetratsche, wie immer klinkte sie sich auch da aus. Aber trotzdem machte sie sich Sorgen um Julian. Offenbar setzte der neue Geschäftsführer ihn jetzt richtig unter Druck. Im Klartext hieß das, dass er Julian, den ungeliebten Abteilungsleiter im Export, sofort degradieren oder sogar feuern würde, wenn seine Umsatzzahlen weiter so den Bach runtergingen. Oder wenn sich ein anderer Fleck auf seiner ekelhaft weißen Weste zeigte, hatte diese Sekretärinnentussi mit ihrer aufgedonnerten Haarpracht gezischt. Als Lena aus der Toilettenkabine herausgekommen war, hatte die andere sie angegrinst und sich noch mehr Farbe ins Gesicht gepinselt.
»Ist das nicht unpassend – so kurz nach Miras Tod?«
Das war Lena einfach rausgerutscht. Trotzdem ließ er seine Hand da, wo sie war.
»Sie sind Ihre Zwillingsschwester. Da müssen Sie doch wissen, wie gerne Mira gefeiert hat. Sie würde es uns nicht übel nehmen.«
Das wusste sie, in der Tat.
»Vielen Dank für die Einladung. Aber ich gehe schon mit jemand anderem hin.«
Leider. Warum hatte sie eigentlich Ja gesagt? Sie brauchte sich doch nicht für Julian verantwortlich fühlen.
Der Ober servierte den zweiten Gang, und Cedric legte seine Hand neben den Teller.
Lilians Laune war miserabel. Das konnte jeder sehen, hören, fast riechen. Normalerweise war sie ein ausgeglichener Mensch, funktionierte sogar dann wie ein
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