Katzenhöhle
Terrassentüren, rüttelte an der Tür des Gartenhäuschens, rief seinen Namen. Niemand meldete sich.
Einen Moment dachte sie darüber nach, was sie sagen würde, wenn ein Nachbar sie fragen würde, was sie hier zu suchen habe. Aber das wäre kein Problem, denn sie könnte ganz cool ihren Dienstausweis zücken und etwas von polizeilichen Ermittlungen faseln. Das zog immer. Außerdem traute sich bei diesem Wetter sowieso niemand raus, da könnte sie Davids Haus ausräumen und niemand würde es bemerken.
Als sie zum Auto zurückging, fielen ihr zwei Strophen aus einem Lied von Bryan Adams ein:
When you love someone – you’ll do anything
You’ll do all the crazy things that you can’t explain
You’ll shoot the moon – put out the sun
When you love someone
You’ll deny the truth – believe a lie
There’ll be times that you’ll believe you can really fly
But your lonely nights – have just begun
When you love someone
Wie recht er hatte. Sogar den Mond hätte sie abgeschossen und die Sonne ausgelöscht, wenn sie dafür erfahren hätte, wo David sich aufhielt. Und wie gerne hätte sie jeder Lüge geglaubt, nur um sich seiner Liebe sicher zu sein und der nächsten einsamen Nacht zu entgehen.
12
Zu Hause empfing Lilian eine beunruhigende Stille. Keiner da – weder Hanna, die ihr grinsend mitteilte, dass diese ganze Geschichte mit Viktor ein schlechter Scherz gewesen sei, noch die Kinder in ihrer üblichen Lautstärke. Dafür fand Lilian einen Zettel auf dem Küchentisch mit Miriams gleichmäßiger Schrift. Viktor hatte sie alle ins Keldorado-Erlebnisbad nach Kelheim eingeladen. Um fünf kämen sie zurück. So blieb ihr noch genug Zeit, um sich von aller Welt betrogen und verstoßen zu fühlen. So wie damals, nach diesem endgültigen, wirklich bitterbösen Streit mit ihrem Vater, als sie schließlich ihren Stefan vor die Tür gesetzt hatte. Sie hatte es gewusst, von Anfang an: David war der gleiche Arsch. Gaukelte ihr wahre Liebe vor, schleppte sie ab mit billigen Tricks, das ganze Blabla, von wegen den eigenen Gefühlen vertrauen – und dann Sendepause. Hätte sie es nicht besser wissen sollen? Und zu allem Überfluss verschworen sich auch noch ihre beiden besten Freunde gegen sie, es war zum Davonlaufen und überhaupt …
Das Telefon läutete. David – das musste David sein! Was würde er sagen? Dass sein Bett so leer war ohne sie? Oder dass sie alles so schnell wie möglich vergessen sollte? Verdammt, sie wollte nicht abheben. Als sie es doch tat, merkte sie, wie ihre Hand zitterte.
»Ja, bitte?«
Keine Antwort.
»David – bist du das?«
Wieder nichts. Dann: »Ich … Hallo, Lilly.«
Lilly … Oh Gott, das konnte nicht … Aber sie kannte die Stimme. Die würde sie nie vergessen. Nein, das war einfach nicht … Oder doch?
»Ich bin’s. Dein Vater.«
Sie hatte es gewusst. Aber sie glaubte es nicht. Was wollte er von ihr? Sie endlich enterben? Darauf wartete sie schon seit mehr als acht Jahren. Ihr Herz klopfte wie verrückt, dröhnte in ihren Ohren. Das musste er doch hören. Sollte sie auflegen? Aber dann würde er sie vielleicht nie wieder anrufen.
»Bist du noch dran, Lilly?«
»Bitte, nenn mich nicht so, Papa. Ich heiße Lilian.«
Wie von selbst hatte sie ›Papa‹ gesagt. So wie sie es immer getan hatte.
»Ja, ich weiß.« Er lachte. Es klang so wie früher. »Das hast du dauernd gesagt: ›Ich bin kein kleines Mädchen mehr‹. Aber für mich bist du das immer noch: mein liebes, kleines Mädchen.«
Das wurde ja immer schlimmer – bumm, bumm, bumm. Wie ein wildes Tier, das hinaus in die Freiheit will, hämmerte ihr Herz gegen den Brustkorb. Konnte es nicht leiser schlagen? Es musste ohnehin dort bleiben, wo es war. Und sie wollte jedes Wort von ihm verstehen.
»Papa, ich bin fünfunddreißig Jahre alt.«
»Ich weiß. Wie geht es dir?«
Wie sollte es ihr schon gehen? Sie war völlig fertig – mit einem Anruf aus der Vergangenheit hatte sie nicht gerechnet. Außerdem verzehrte sie sich nach David, war sich seiner Liebe so unsicher wie immer. Hatte zu allem Überfluss Probleme mit Hanna und Viktor, der Fall ging nicht weiter, zum Laufen war sie schon seit Tagen nicht mehr gekommen, die frische Luft fehlte ihr, und die kalten Füße plagten sie. Das Wetter war beschissen: kalt, nebelig, düster. Und manchmal sehnte sie sich immer noch nach den Pferden auf dem Bauernhof ihrer Eltern, vor allem nach Scirocco. Den hatte der Papa ihr zum zehnten Geburtstag
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