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Katzenhöhle

Katzenhöhle

Titel: Katzenhöhle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hildegunde Artmeier
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auf und ließ Lilian in diese Welt eintreten. Fast ehrfürchtig ging sie über den Kiesweg bis zu einer einfachen, gemauerten Treppe, unter der sich Brennholz stapelte.
    »Gisela Dormann, sagen Sie?«
    Die alte Dame, die die Haustür geöffnet hatte, schob ihre Brille in Richtung Nasenwurzel und studierte den Ausdruck in Lilians Hand.
    »Ich erinnere mich genau. Das war vor mehr als fünf Jahren, als ich noch praktiziert habe. In aller Früh musste ich hin, eiskalt war’s – und das im Oktober. Alles war gefroren, der Streudienst war schon unterwegs.« Die Furchen auf ihrer Stirn wurden noch tiefer. »Aber heut ist’s auch nicht besser. Wird Zeit, dass es bald anders wird. Kommen Sie rein, ich mach uns eine schöne Tasse Tee.«
    Angenehm überrascht trat Lilian ein. Sie hatte – wenn überhaupt – die übliche Einladung zu einer Tasse Kaffee erwartet, der sich als zu wässrig oder zu stark erweisen würde.
    Die Ärztin führte Lilian in den ersten Stock. Im Erdgeschoss wohnte ihr Sohn mit Familie, so erzählte sie auf dem Weg in die Küche über eine weit geschwungene Treppe, durch verwinkelte Gänge und an vielen geschlossenen Türen vorbei. Ihr Mann war schon lange tot. Die Enkelkinder halfen ihr manchmal bei der Gartenarbeit, aber die Schwiegertochter, na ja. Doch die Frauen von heute surften eben lieber im Internet oder trafen sich mit ihren Freundinnen zu einem Selbstfindungsabend, so war das eben.
    Die Küche entpuppte sich als riesiger Wohnraum, dominiert von einem altertümlichen Sofa mit Holzrahmen, auf dem der Blümchenstoff mit abgerundeten Ziernägeln festgezurrt war, davor ein reich gedeckter Tisch mit Spitzendecke, Polsterstühlen und einem kleinen Hocker für müde Füße. Der Lampenschirm aus milchigem Glas steckte in einer Messingfassung und verbreitete warmes Licht. In einer Ecke stand ein großer alter Herd zum Anschüren. Einen solchen Ofen, mit weißer Emaille überzogen, hatte es auch im Haus von Lilians Eltern gegeben. Ihre Mutter hatte den Elektroofen bevorzugt, aber der Papa hatte es sich nicht nehmen lassen, an kalten Tagen Feuer zu machen und Tee zu kochen. Den leeren Weidenkorb hatte die kleine Lilly eigenhändig zum Holzstoß hinter dem Wohnhaus tragen dürfen, bloß beim Zurückbringen hatte ihr der Papa geholfen. Auch hier gab es einen Korb für die Holzscheite. Nur noch wenige lagen darin, bald müsste er wieder aufgefüllt werden.
    »Ich bin grad mit dem Essen fertig geworden, war spät dran.« Die alte Dame ließ einen Wasserkessel voll laufen und stellte ihn auf eine Herdplatte. »Aber in meinem Alter darf man sich Zeit lassen. Haben Sie Hunger? Es ist noch was da.«
    »Danke, ich hab schon gegessen.« Lilian fragte sich, warum sie so geantwortet hatte. Das Frühstück mit Hanna lag schon lange zurück. »Sie haben Frau Dormanns Tod damals als unnatürlichen Todesfall eingestuft.«
    »Ja, Todesursache war eine Kohlenmonoxydvergiftung. Sie saß auf dem Fahrersitz, Motor an, Fenster auf, Garagentor zu. Eindeutig Selbstmord.«
    »War das Garagentor zugesperrt?«
    »Nein, nur runtergezogen, aber das reichte. Sie hatte einiges an Alkohol intus. Trotz des Gestankes konnte ich das riechen. So fiel es ihr wohl leichter, diesen letzten Schritt zu tun – und das wegen eines davongelaufenen Liebhabers! Da hätt’ ich schon zigmal Tabletten schlucken müssen.« Sie versuchte ein Lachen. »Als ob das irgendeiner wert wäre.«
    Lilian sah die Frau an. Die drehte sich schnell um und suchte nach einer Teekanne, in die sie drei Löffel Schwarztee gab. Es war eine Kanne aus ziseliertem Silber, mit einem fein geschwungenen Ausguss, ein kleines Kunstwerk.
    »Frau Dormann hatte also Liebeskummer?«
    »Das hat mir damals jeder erzählt, die Bäckerin und die Metzgerin und was weiß ich, wer noch. Auch in der Firma, wo sie arbeitete, wusste man darüber Bescheid – so hörte ich. Offenbar war Gisela Dormann nur wegen diesem … Kerl hierher gezogen. Wegen dem hatte sie sich in Regensburg eine Arbeit gesucht, sie kannte niemanden außer ihm. Ganz jung war sie noch, erst Mitte zwanzig. Und dann machte der sich an eine andere ran und weg war er.« Tränen glänzten in ihren Augen. »Deshalb bringt man sich doch nicht gleich um. Würden Sie das tun?«
    Lilian antwortete nicht. Der Geruch von Geräuchertem hing in der Luft. Es war ein würziger Duft, fast sah sie die Räucherkammer vor sich, in der das saftige Stück Fleisch gehangen hatte. Auch das Brot sah verführerisch aus, es hatte eine dunkle

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