Katzenhöhle
würden Sie mir nicht glauben.«
»Es gibt noch viele Unklarheiten, Frau Zolnay«, entgegnete Lilian ausweichend. »Wie war das denn mit diesem Streit mit Ihrer Schwester? Davon haben Sie bisher überhaupt noch nichts erzählt.«
»Wovon reden Sie eigentlich?«
»Wir wissen, dass Sie an dem Abend, als Mira getötet wurde, eine heftige Auseinandersetzung mit ihr hatten. Das war gegen halb acht.«
Lilian machte eine Pause, doch Lena schwieg.
»Zehn bis fünfzehn Minuten später haben Sie das Haus verlassen. Kurz davor kam ein lautes Geräusch aus Ihrem Appartement – als ob ein schwerer Gegenstand zu Boden fallen würde.«
Lena sagte immer noch nichts.
»Warum haben Sie sich gestritten? Wollte Mira noch länger bei Ihnen bleiben und Sie haben den Gedanken alleine schon unerträglich gefunden? Hat Ihre Schwester Sie herumkommandiert, sich in Ihrem Leben breit gemacht – so wie früher?« Lilian stand auf und platzierte sich direkt vor Lena. »Haben Sie vor Wut die Marmorstatue gepackt und sie ihr auf den Kopf geknallt?«
Lena blieb stumm, schlug bloß ihre Beine übereinander.
»Wie kommen Miras Fingerabdrücke auf die Statue? Haben Sie sie ihr aus der Hand gerissen, weil sie sich wieder einmal darüber lustig gemacht hat? Mira hielt nichts von solchen Kunstobjekten, das hat sie Ihnen sicher auf die ihr eigene, dezente Art zu verstehen gegeben.«
Lilian wartete und beobachtete die Frau aufmerksam. Heute sah sie anders aus als sonst, zwar genauso distanziert, aber auch verwundbar. Als sei das Reh erschreckt worden und verzweifelt auf der Suche nach einem Unterschlupf, nach einer Höhle vielleicht, wo es sich verstecken könnte. Versteckten sich Rehe überhaupt in Höhlen? Und wie war das mit Katzen? Auf jeden Fall keine verkleideten. Trotzdem konnte sich Lilian von dieser Vorstellung kaum lösen.
»Mira hat mir Vorwürfe gemacht«, sagte Lena irgendwann, sehr leise. »So wie sie es immer getan hat bei den letzten Gelegenheiten, bei denen wir uns gesehen haben. ›Du machst nichts aus deinem Leben, verkriechst dich nur in deiner faden Arbeit, in dieser kleinen Wohnung und in Regensburg, diesem Provinzkaff.‹ Das und tausend andere Dinge hat sie mir vorgehalten. Doch dieses Mal war es noch schlimmer, sie hörte gar nicht mehr auf. Wahrscheinlich konnte sie sich nur so besser fühlen – wenn sie mich runtermachte. Wo sie doch genug eigene Probleme hatte.«
»Welche meinen Sie?«
»Na, welche wohl? Sie hat zu viel getrunken, und zwar richtig hartes Zeug. Eine Whiskyflasche nach der anderen hat sie leer gemacht. Ich hab mich richtig geschämt beim Einkaufen, wenn mich die Kassiererin so komisch angeguckt hat – sie hielt mich bestimmt für Mira. Aber sie kannte eben keinen anderen Weg, um sich zu beruhigen und den nötigen Abstand zu finden. Da war niemand, der ihr geholfen hätte. Früher hatte sie wenigstens mich …«
»Immerhin hatte sie einen Lebensgefährten.«
»Und was für einen.« Ein Zittern lief durch ihren Körper. Mit den Händen umfasste sie ihre Schultern, als wollte sie zumindest diese ruhig stellen. »Nach außen wirkten sie und Cedric wie das Traumpaar schlechthin, aber wo gibt es das überhaupt? Er hat ihr nicht gut getan. Das wusste ich schon, bevor ich ihm persönlich begegnet bin. Sie waren sich zu ähnlich. Er wollte sie dirigieren, formen, als wäre sie aus Ton. Das konnte nicht gut gehen.«
Etwas Ähnliches hatte auch Cedric gesagt, vor ein paar Tagen auf der Jahninsel. Also hatte er Lilian nicht in allen Punkten belogen. Sie spürte Erleichterung.
»Hat Mira von Cedric gesprochen?«
»Ja, von ihm und ihrer Agentin, dieser Larissa. Sie hat Larissa aus meiner Wohnung angerufen, da haben sie sich wohl ziemlich gezofft.«
»Wann war das?«
»Ich weiß nicht genau, am Montag oder Dienstag? Als ich da von der Arbeit nach Hause kam, war Mira total fertig. Sturzbesoffen und saugrantig, aber ich konnte soviel verstehen, dass sie die Nase voll hatte – komplett. Sie wollte sich eine andere Agentin suchen.«
»Hatte sie schon eine in Aussicht?«
»Das nicht, aber in Paris, sagte sie, gäb’s genug davon.«
»Was wäre mit Cedric gewesen, wenn sie nach Paris gegangen wäre?«
»Sie hörte sich nicht so an, als ob sie das sonderlich kümmern würde.«
»Das ist wirklich interessant – und das meine ich ehrlich«, stellte Lilian fest. »Trotzdem weiß ich immer noch nicht, was das für ein Poltern war, das am Tatabend aus Ihrer Wohnung gekommen ist. Und zwar bevor Sie nach
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