Katzenhöhle
Bestattung in so kleinem Kreis stattfinden würde. Aber bald gäbe es wohl noch eine große Feier in London mit geladenen Gästen. Trotzdem würden sich auch Cedric und Larissa unter der Trauergemeinschaft in Donaustauf befinden. Sie durften ohnehin nur mit offizieller Genehmigung ausreisen. Bei dem Gedanken an die beiden überfiel Lilian ein schlechtes Gewissen. Sie hatte noch gar nicht überprüfen lassen, wo sich dieses illustre Pärchen aufgehalten hatte, als der vermeintliche Angriff auf Lena in der Tiefgarage stattgefunden hatte. Auch wenn Lilian der jungen Frau nicht glaubte, durfte sie sich doch keine Schlamperei bei den Ermittlungen zu Schulden kommen lassen. Das musste sie so bald wie möglich klären.
An ihrer Hüfte fing es zu surren an: das Handy. Umständlich fischte sie es aus der Jackentasche. Da vorne war eine Laterne, mal sehen, wer das war. Sie war stolz auf sich. Heute hatte sie es endlich geschafft, die Bedienungsanleitung zu studieren und die wichtigsten Telefonnummern unter den entsprechenden Namen abzuspeichern. Jetzt war ihr Handy kein unergründliches Rätsel mehr so wie in den vergangenen acht Monaten. In manchen Dingen war Lilian wie ein Dinosaurier: unfähig, sich an unvermeidbare Entwicklungen anzupassen. So, jetzt war es hell genug. ›David‹ hieß es da auf der Anzeige. Aha. Sie ließ es einfach läuten. Dieses Mal sollte er warten, so wie sie das ganze Wochenende vergebens auf seinen Anruf gewartet hatte. Sie wusste zwar immer noch nicht, warum er sich nicht gemeldet hatte. Aber früher oder später würde sie es sicher erfahren.
Lilian lief an der Kirche Sankt Bonifaz vorbei und bog in die Verlängerung der Killermannstraße ein. Niemand war mehr unterwegs, das Café an der Ecke war schon lange geschlossen. Ob sie zum Baggersee joggen sollte? Gute Idee. Die Dienstwaffe hatte sie vorsorglich eingesteckt, so fühlte sie sich um diese Uhrzeit sicherer. Sie versuchte wieder, sich auf ihren Atem zu konzentrieren. Das fiel ihr heute schwer, sie fand nicht den richtigen Rhythmus. Die Ermittlungen gingen ihr durch den Kopf, die bevorstehende Exhumierung, der Überfall in der Tiefgarage. Der Arzt bei den Barmherzigen Brüdern hatte einen anfänglichen Schockzustand bei Lena bestätigt. Hatte er sich so leicht von ihr täuschen lassen? Aber was hatte Julian Herzog am vergangenen Abend gesagt – ob nicht Lena selbst Ziel des Raubmords gewesen sein könnte? Wie passte das zusammen? Wenn einer sie nur ausrauben wollte, warum stellte er ihr dann noch in der Tiefgarage nach? Die Einzige, die den Einbrecher hätte identifizieren können – nämlich Mira – war tot.
Die Straße war zu Ende, der Zugang zum Erholungsgebiet rund um den Baggersee fing an. Ein besonders intelligenter Autofahrer hatte seinen schwarzen Wagen direkt an der Verbindungsstelle geparkt, so dass dieser ihr den Weg versperrte. Noch dazu stand das Auto unter einer kaputten Straßenlaterne. Es war kaum zu sehen, und sie wäre fast daran angestoßen. Dummerweise hatte Lilian nichts zum Schreiben dabei, sonst hätte sie dem klugen BMW-Besitzer einen Zettel an die Windschutzscheibe geklatscht. Sie quetschte sich daran vorbei und trabte weiter. Worüber hatte sie eben nachgedacht? Ach, ja – warum sollte jemand Lena umbringen wollen? So weit waren sie und Helmut auch schon gewesen: Weil Lena eine mögliche Zeugin war. Sie war noch einmal umgekehrt, um den Stadtplan zu holen. Vielleicht war ihr irgendetwas aufgefallen, woran sie sich jetzt nicht mehr erinnern konnte oder was sie selbst nicht für wichtig hielt. Ergab das mehr Sinn als die absurde Idee, dass Lena ihre Vorgängerin aus dem Weg geräumt hatte, um deren Stelle zu ergattern? Alle Nachforschungen hatten gezeigt, dass die beiden Frauen sich nie begegnet waren. Nicht nur Julian Herzog hatte das bekräftigt – und der musste es ja wissen. Also würde sie sich doch lächerlich machen, wenn sie auf der Exhumierung bestand. Es war noch früh genug, die Sache abzublasen. Andrerseits hatte sie bereits den richterlichen Beschluss in der Tasche, da würde sie sich noch mehr blamieren, wenn sie jetzt wieder alles rückgängig machte. Ihr Magen zog sich zusammen. Doch nicht nur deshalb, denn etwas anderes beunruhigte sie weit mehr. Hatten sie Lena die ganze Zeit zu Unrecht verdächtigt? Wenn ja, dann hatte die keinen Grund gehabt, sich die Geschichte mit dem Anschlag in der Tiefgarage auszudenken – und dann hatte tatsächlich jemand versucht, sie zu erwürgen.
Jetzt kam
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