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Katzenkrieg

Katzenkrieg

Titel: Katzenkrieg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: E Mendoza
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Zusammenspiel von gesellschaftlichen Hindernissen und persönlichen Fehlern entgleiste Leben hatten sie gelehrt, große Ideen und edle Gefühle in die Welt von Film und Fortsetzungsroman zu verbannen. Fast wie durch ein Wunder bis ins reife Alter heil geblieben, hatten sie ihr ganzes Vertrauen in die unabdingbaren Gelegenheitsverpflichtungen gesetzt, wie sie aus den kleinen Verschuldungen und unlenkbaren Schwächen der menschlichen Natur heraus entstehen.
    «Hab keine Angst um die Kleine, Justa», hatte Higinio Zamora zu der Kupplerin gesagt, als er sie über das Gespräch mit Anthony Whitelands unterrichtet hatte. «Der Engländer ist ein guter Mensch, und wenn er sie im ersten Augenblick misshandelt und schlägt, wird er sich nachher umso hingebungsvoller um sie kümmern.»
    Wozu die Justa ihre vorbehaltlose Zustimmung bekundet hatte, blind der Weisheit Higinio Zamora Zamoranos vertrauend, der nun hochzufrieden die finstere Treppe hochstieg und frohgemut an die Tür klopfte, während er mit der anderen Hand einen Veilchenstrauß umklammerte. Sogleich öffnete die Justa; diese schnelle Reaktion und ihre ganze Haltung warnten ihn. «Du hast Besuch, Higinio», sagte die Alte, neigte den Kopf zur Seite und barg die Hände in den Falten ihrer zerlumpten Perkalschürze.
    Higinio trat ein und musterte misstrauisch den Mann, der ihn in größtmöglichem Abstand von den ungesunden Ausdünstungen des Kohlebeckens beobachtete.
    «Ich bin Kolja», sagte der Besucher.
    Higinio und die Justa wechselten vorsichtige Blicke.

28
    Am anderen Ende des unermesslichen Bogens, der sie vom einfachen Volk trennt – und mehr noch von der Untergattung städtisches Proletariat, ihrem natürlichen Feind –, wird das Verhalten der alteingesessenen Aristokratie von einer angeborenen Philosophie bestimmt, die nicht tiefer ist oder feiner gestrickt, aber ebenso erfolgreich wie die ungeschliffene Ethik ihres Gegenspielers. Von den Umständen der Geburt ebenso geprägt wie dieser, lastet auf dem Adel ein unentrinnbarer Zwang, der es ihm unmöglich macht, über sein Benehmen, über sich selbst und über die Welt zu reflektieren, wenn denn die drei Dinge nicht ein und dasselbe sind. Aber wenn er reflektieren könnte, vermöchte er trotzdem weder das überkommene Gedankengut noch seine Lebensform zu ändern. Selbstlos muss er seine besten Eigenschaften auf dem Altar der Irrationalität, Fortschrittsfeindlichkeit und Fahrlässigkeit opfern, die ihn dahin gebracht haben und da festhalten, wo er ist, und mit eiserner Disziplin Fehler kultivieren, die seine Position so verankern, wie ihn seine Position sie kultivieren lässt. Ungebändigt, herren- und wahllos launisch, hält ihn die Verantwortungslosigkeit, die seine Taten bestimmt, in der Unschlüssigkeit fest: Seine Initiativen führen zu nichts und seine Gedanken rettungslos in die Seichtheit, und seine Leidenschaften, die keine Konsequenzen zu befürchten haben, erschöpfen sich im Laster.
    Don Álvaro del Valle, Herzog von Igualada, Marquis von Orán, Valdivia und Caravaca und Grande von Spanien, spürt auf seinen Schultern dieses Erbe lasten, als er sich einer historischen Alternative gegenübersieht. Da es ihm weder an Intelligenz noch an Phantasie oder Unerschrockenheit fehlt und er über eine gewisse Urteilsfähigkeit verfügt, spinnt er Intrigen, aber letzten Endes stellt ihn der Determinismus wieder an seinen angestammten Platz und zwingt ihn, vor sich selbst und der Welt den Hanswurst zu spielen, der jede Verbindung zu seiner Zeit und zur Wirklichkeit verloren hat.
    Mit diesem Gefühl schaut er in seinem Arbeitszimmer aus dem Fenster, und wie ein Trostspender in seinem Leid zeigt ihm der Garten die zarten Knospen zwischen den Blättern. Mit dem Rücken zum Raum murmelt er: «Was ihr von mir verlangt, verstößt gegen mein Gewissen.»
    Diese Erklärung wird von den drei Männern hinter ihm mit Schweigen quittiert. Einer von ihnen hält sich aus dem Ganzen heraus, als hätte er von Anfang an gewusst, dass ihre Mission erfolglos ist. Ein anderer schaut erwartungsvoll den bisherigen Wortführer an. Der sagt in dem verständnisvollen Ton, den er seit Beginn der Besprechung angeschlagen hat: «Manchmal verlangt das Vaterland eben solche Opfer, Álvaro.»
    Der Sprechende ist nahe an den Fünfzigern, hochgewachsen, von distinguierter Haltung und mit grobgeschnittenem, aber intelligentem Gesicht. Der tiefe Blick und die Metallbrille geben ihm etwas Intellektuelles, was er in gewissem Sinn auch ist.

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