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Katzenkrieg

Katzenkrieg

Titel: Katzenkrieg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: E Mendoza
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fasziniert. Ich weiß nicht, ob Sie sie vor Augen haben. Der junge Aktaion geht auf die Jagd und überrascht zufällig Diana nackt; die spröde Göttin schießt einen Pfeil auf ihn ab und verwandelt ihn in einen Hirsch, der sogleich von seiner eigenen Meute zerfleischt wird, ohne dass er etwas dagegen tun kann. Für die bildnerische Umsetzung der Fabel wählt Tizian einen Augenblick mitten in ihrem Verlauf: Das Entscheidende ist schon geschehen oder wird erst geschehen. Wer den Anfang und das Ende der Fabel nicht kennt, hat das Nachsehen. Vielleicht war die griechische Mythologie zu Tizians Zeiten allgemein bekannt, ich bezweifle es. Aus einem ganz bestimmten Grund muss er genau diesen Moment und keinen anderen ausgesucht haben. Den Moment, in dem die Verfehlung schon geschehen und der Pfeil abgeschossen ist. Das Weitere ist nur noch eine Frage der Zeit – der Ausgang ist unausweichlich. Haben Sie bitte Geduld mit meinen Abschweifungen. In der Einsamkeit dieses Büros, von der Müdigkeit und, wozu es leugnen, der Hoffnungslosigkeit übermannt, flüchte ich mich zu dieser Stunde oft in die Erinnerung an frühere Zeiten, ich weiß nicht, ob sie glücklicher waren, aber jedenfalls weniger kompliziert – die Kindheit in Alcalá, das Augustinerkolleg in El Escorial, das Vorkriegsparis … Und auf diesem Müßiggang ist mir vor kurzem der Vortrag über das Tizian-Bild wieder in den Sinn gekommen.»
    Er macht eine Pause, um sich eine Zigarette anzuzünden, und überfliegt mit den halbgeschlossenen Äuglein die respektvolle Zuhörerschaft. Dann fährt er in lebhafterem Ton fort: «Viele denken, wir befinden uns genau in dieser Situation. Der nicht wiedergutzumachende Fehler ist schon passiert, der Pfeil hat den Bogen verlassen; wir haben nur noch darauf zu warten, dass uns die eigenen Hunde in Stücke reißen. Ich würde lieber anders denken. Ja, ich glaube, der Pfeil, der uns töten kann, ist genau der Defätismus von uns allen. Noch nie hat es in Spanien einen so großen Konsens gegeben wie heute – die einmütige Überzeugung, dass wir kopfüber in die Katastrophe stürzen. Ich frage mich, ob ich der Einzige bin, der damit nicht einverstanden ist, und die Antwort, die ich mir selber gebe, lautet nein. Das zeigen die Wahlen von vor einem Monat, und während der Kampagne haben wir sehen können, welches das allgemeine Empfinden ist.»
    Anthony, in seinen eigenen Grübeleien versunken, weiß nichts davon, aber Manuel Azaña hat recht: Während der Wahlkampagne hat er mehrere Massenveranstaltungen bestritten. Trotz seines fehlenden Charismas und seines Rufs als Intellektueller, trotz der Abnutzung durch viele Jahre politischen Kampfes, in denen er und seine Partei gewaltige Schnitzer begangen haben, dämonisiert von der Rechten und verleumdet von der Linken, hat ihn das Volk gewählt, und die Massen haben ihm Beifall geklatscht, da sie in ihm die letzte Hoffnung auf Einvernehmen und Versöhnung sehen. Zur letzten Versammlung außerhalb Madrids, an einem schwer zugänglichen Ort, bei unbarmherziger Kälte und mit dem Boykott der Regierung, ist eine halbe Million Menschen gekommen. Denn sein Gedankengut ist einfach: die Republik konsolidieren, das bisher Erreichte nicht über Bord werfen, die Übel des Landes und das Dahinvegetieren der Menschen nicht noch vergrößern. Für diese Ziele kann er mit einer breiten parlamentarischen Unterstützung und mit der großen Mehrheit der Spanier rechnen, auch wenn, und das weiß er, die ihn tragende Mehrheit gegen die Pistolen wenig und gegen die Kanonen sehr wenig ausrichten kann. Trotzdem bewahrt er die Hoffnung auf den Sieg des gesunden Menschenverstandes, des Selbsterhaltungstriebs der spanischen Nation. Und da er die Geburt und die Entwicklung der Republik miterlebt hat und sie von innen heraus kennt, glaubt er auch, dass im Grunde niemand so weit hat kommen wollen, wie man jetzt gekommen ist. Die Sozialisten sind vom Verschleiß der Wahlbündnisse und von den Geschäften der Politik gezwungen worden, ihre Position zu radikalisieren, damit die Arbeiter die UGT nicht verlassen und zur CNT übergehen, wo die Anarchisten dank der Abwendung vom Possibilismus und der dauernd praktizierten Verantwortungslosigkeit die Reinheit der Prinzipien aufrechterhalten. So fühlen sich die Sozialisten, von einem revolutionären Diskurs getragen, der ihrer Meinung nach nichts als oberflächlich ist, dazu getrieben, die Macht zu ergreifen, wie es die Bolschewiken in Russland taten. Sie lehnen jede

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