Katzenkrieg
Familienangelegenheiten darf nichts offenbleiben. Die Genossen hier», fügte er für den Engländer hinzu, «wissen Bescheid über Ihre Affäre mit der Toñina.»
Gefügig ließ sich Anthony von Higinio führen. Er fragte sich, welche Details in den letzten Sekunden seines Lebens noch von Bedeutung sein mochten, erhob aber keinen Einspruch. Als sie neben der Tür standen, packte ihn Higinio Zamora am Arm, gab vor, unter vier Augen mit ihm zu sprechen, und flüsterte ihm ins Ohr: «Ich habe sie offen gelassen.»
Anthony brauchte einen Augenblick, ehe er verstand, dass von der Tür die Rede war. Die langen Studienjahre hatten seine Reflexe nicht völlig abgestumpft. Ohne es sich zweimal zu überlegen, versetzte er dem anderen einen kräftigen Stoß, dem Higinio Zamoras schwächliche Konstitution nicht gewachsen war – oder dann war sein Zubodengehen nur gespielt, um die Aufmerksamkeit seiner Genossen genau die nötigen Sekunden auf sich zu ziehen, in denen der Engländer die Tür aufstoßen, auf die Straße hinausstürzen und wie ein geölter Blitz davonsausen konnte. Hastige Schritte, Flüche und ein Schuss zeigten ihm, dass ihm seine Verfolger dicht auf den Fersen waren. Seine langen Schritte verschafften ihm den nötigen Vorsprung, um den im Laufen abgefeuerten und also nicht sehr präzisen Schüssen zu entkommen. Rasch gelangte er auf den Marktvorplatz, wo er kurz zuvor losmarschiert war. Hier gab er eine treffliche Zielscheibe ab, selbst im schwachen Licht der Straßenbeleuchtung. Haken schlagend lief er auf die Lastwagen zu, dichtauf von drei der Genossen verfolgt, während der Zwerg zwangsläufig etwas ins Hintertreffen geraten war. Bei den Lastwagen versuchte er sich ohne große Hoffnung zu verstecken und hörte den Zwerg rufen: «Schneidet ihm den Rückweg ab. Ich schaue unter die Chassis.»
Eingeschüchtert und keuchend, war Anthony jetzt alles andere als gelassen oder resigniert, sondern spürte, wie ihm die Panik Geist und Glieder lähmte. Er schloss die Augen und ließ eine ihm ewig erscheinende Weile verstreichen, bis ein surrendes Motorengeräusch sie ihm wieder öffnete. Scheinwerferlicht bestrich den Vorplatz und schlug Ratten und Katzen in die Flucht. Ein Auto kam auf den Platz gerast, beschrieb einen Halbkreis und blieb mit quietschenden Bremsen neben den Lastwagen stehen. Im Fenster auf der Fahrerseite erschien eine Hand mit Pistole. Anthony erkannte den unverwechselbaren gelben Chevrolet, lief geduckt zur geöffneten Beifahrertür und sprang hinein. Das Gezeter von Higinio und seinen Genossen und einige aufs Geratewohl abgegebene Schüsse auf dem Platz zurücklassend, flitzte der Chevrolet in einer Staub- und Morastwolke davon.
Nachdem sie eine Weile gefahren waren, verlangsamte das Auto seine Geschwindigkeit, und der Fahrer drehte sich mit ironischem Grinsen zu Anthony um. «Darf man erfahren, wie du dich in eine solche Patsche hineingeritten hast?», fragte er. «Was willst du? Den Helden spielen?»
«Das sagst ausgerechnet du.»
39
Im Gegensatz zu den gewalttätigen Ereignissen bei der einsamen Puerta de Toledo zog die Schießerei auf der Plaza del Ángel zahllose Schaulustige an, vor allem Gäste aus den Bierlokalen der angrenzenden Plaza Santa Ana. Unter ihnen befanden sich auch zwei Ärzte, die Guillermo del Valle sogleich untersuchten und feststellten, dass er noch lebte, wenn auch sein Puls sehr schwach war. Die Beamten, die auf ihn geschossen hatten, halfen den Ärzten nun, den Körper ins Hotel hineinzutragen, wonach auf dem Pflaster eine große Blutlache zurückblieb, und betteten ihn auf einen Tisch. Der Empfangschef half bei allem mit und hörte nicht auf zu zittern und zu seufzen und zu murmeln, er habe es ja gleich gesagt, dieses Kommen und Gehen könne kein gutes Ende nehmen. Zu seiner begreiflichen Verstörung kamen noch die Aussicht auf ein langes Verhör und vermutlich der Verlust seiner Stelle.
Bald trafen am Tatort zwei Bereitschaftspolizisten ein, die die Gaffer rüffelten und mit erhobenem Knüppel aufforderten, sich zu zerstreuen. Unterdessen hatte einer der Ärzte in einer Klinik einen Krankenwagen angefordert. Danach riefen die beiden Beschattungsbeamten Oberstleutnant Marranón an und erzählten, was geschehen war. Dieser wiederum telefonierte mit dem Innenminister und kam dann unverzüglich zum Hotel. Da war der junge Mann bereits abtransportiert worden. Der Oberstleutnant fragte, ob jemand wisse, wer er sei. Die Antwort war negativ – der junge Mann hatte
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