Katzenkrieg
keinen Ausweis bei sich gehabt. Nur der Empfangschef sagte, er habe ihn früher schon zweimal gesehen, und beschrieb die Umstände.
«Der Teufel soll ihn holen!», brummte der Oberstleutnant. «In diesem Land passiert nichts, ohne dass dieser verdammte Engländer seine Hände im Spiel hat. Wissen wir eigentlich, was aus ihm geworden ist?»
Keiner der Anwesenden hatte eine Ahnung. Der Oberstleutnant wäre sprachlos gewesen, hätte er gewusst, wo und in welcher Gesellschaft Anthony Whitelands sich derzeit befand. Während er seine Informationen einholte, klingelte im Hotel das Telefon. Er antwortete persönlich. Es war Amós Salvador, der Innenminister. Man hatte ihm die Ereignisse geschildert, und er hatte die entsprechenden Maßnahmen in die Wege geleitet. Er hatte auch die Identität des Opfers ermittelt: Guillermo del Valle, Sohn des Herzogs von Igualada, der das Velázquez-Bild verhökern wollte. Die Kameraden des jungen Mannes waren in den Sitz zurückgekehrt, um über die, wie sie nicht ohne Grund fanden, ungerechtfertigte Aggression Bericht zu erstatten. Ein Führungsmitglied der Falange hatte die Familie angerufen, um ihr die traurige Nachricht zu überbringen.
«Der Herzog ist unterwegs zum Hotel», sagte der Minister. «Werfen Sie die Urheber dieser Bescherung so schnell wie möglich raus, und bereiten Sie eine mehr oder weniger glaubwürdige Erklärung vor. Und dann bleiben Sie nicht auf der Straße – heute Abend könnte es ein Feuerwerk geben.»
Nachdem er sie mit Beschimpfungen überschüttet hatte, entließ der Oberstleutnant die beiden Beamten; in zwei Stunden hatten sie gleich zwei Fehler in Folge begangen, jeder mit schwerwiegenden Konsequenzen. Nach einer Weile erschien in einem Auto mit livriertem Fahrer der Herzog von Igualada in Begleitung seiner Tochter Francisca Eugenia und Pater Rodrigos.
Die Nachricht von dem Vorfall hatte im Palais im Paseo de la Castellana für verständliche Aufregung gesorgt. Voller Schmerz und Empörung hatte der Herzog die Familienangehörigen und Bediensteten informiert, außer der Herzogin, die zu aller Verwunderung das Haus allein verlassen hatte, ohne jemanden zu benachrichtigen und zu sagen, wohin sie ging. Der späten Stunde wegen konnte man ausschließen, dass sie einen Besuch abstattete oder zu einer der frommen Veranstaltungen gegangen war, die ihre einzige außerhäusliche Aktivität darstellten. Zu sehr aus dem Gleichgewicht gebracht, um weiterzuforschen, machten sich der Herzog, Paquita und Pater Rodrigo unverzüglich zum Hotel auf und betrauten die zurückbleibende Lilí mit der heiklen Aufgabe, ihre Mutter über die Ereignisse zu informieren, sobald sie auftauchte. Der andere Sohn des Herzogs, der in Italien unterwegs war, wurde von den konsularischen Behörden gesucht.
Die Verstörung des Vaters nutzend, überging der Oberstleutnant Erklärungen, Entschuldigungen und Beileidsbezeugungen und verwies den Herzog und seine Begleiter an die Klinik. Zuvor hatte er sich mit den diensttuenden Ärzten in Verbindung gesetzt: Der Verletzte wurde notfallmäßig operiert, sein Zustand war kritisch. Bevor er wieder ins Auto stieg, wandte sich der Herzog an den Oberstleutnant: «Soviel ich weiß, gibt es zwei Verantwortliche», knirschte er.
Der Oberstleutnant hielt seinem Blick stand. «So ist es, Exzellenz: denjenigen, der einem Achtzehnjährigen eine Pistole ausgehändigt hat, und den, von dem das nötige Geld dafür stammt.»
Noch bevor er den Sinn des Satzes erfassen konnte, schob Paquita den Vater mit sanfter Bestimmtheit ins Auto hinein und nannte dem Fahrer die Adresse der Klinik. Sie war sehr bleich, und nach Meinung des Oberstleutnants, der um ihre Beziehung zu José Antonio Primo de Rivera wusste, Paquita aber noch nie gesehen hatte und jetzt aufmerksam beobachtete, flackerte in ihren Augen der Wahnsinn. Im Fond des Wagens, der sich schon in Bewegung gesetzt hatte, gab Pater Rodrigo mit erhobenem Arm ein «Arriba España!» von sich, was die Exkommunizierung mit einschloss.
Als das Auto endlich in Atocha eintraf, kam ein Chirurg heraus, um die Besucher in Empfang zu nehmen. Er trug noch den weißen, blutbefleckten Kittel. In knappen Sätzen sagte er, der junge Mann habe den Operationssaal schon verlassen, wo das Menschenmögliche getan worden sei, und die Aussichten seien nicht eben ermutigend. Aber, fügte er mit entspannterer Stimme und Miene hinzu, man dürfe die Hoffnung nicht aufgeben, die Medizin sei bei weitem keine exakte Wissenschaft, das
Weitere Kostenlose Bücher