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Katzenkrieg

Katzenkrieg

Titel: Katzenkrieg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: E Mendoza
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sich, Anthony zur Tür zu begleiten. Gemeinsam gingen sie durch die Räume zwischen dem Musikzimmer und der Eingangshalle, wo die attraktive junge Frau sagte: «Urteilen Sie nicht leichtfertig über meine Familie. In der momentanen Situation sind wir alle ein wenig überspannt, was einem Fremden als Unreife erscheinen mag. Wenn die Zukunft ungewiss ist, konzentrieren sich Handlungen und Gefühle, die sich normalerweise ruhiger und schicklicher abwickeln, auf die Gegenwart. Davon nehme ich mich selbst nicht aus. Anderseits ist meine Familie griesgrämig und feudal – seit Jahrhunderten pflegt sie sich anzueignen, was ihr gerade gefällt. Und Sie haben ihr gefallen. Vielleicht weil Sie als jemand, der von außen kommt, die Erinnerung an eine andere, heiterere und weniger grausame Wirklichkeit mitgebracht haben.»
    «Ich freue mich, bei Ihrer Familie einen guten Eindruck hinterlassen zu haben», sagte der Engländer, «aber ich möchte wissen, welchen Eindruck ich auf Sie gemacht habe.»
    «Das werden Sie auf eigene Faust herausfinden müssen, Señor Whitelands. Auch ich bemächtige mich dessen, was mir gefällt, aber ich dulde es nicht, dass sich jemand meiner bemächtigt.»
    Anthony öffnete die Tür zur Straße. Auf der Schwelle blieb er stehen, wandte sich um und fragte: «Werde ich Sie morgen wiedersehen?»
    «Das weiß ich nicht. Ich plane nie so langfristig», sagte sie und schloss die Tür.
    Anthony Whitelands fand sich allein auf dem Paseo de la Castellana, auf dem wenige Autos und kein einziger Fußgänger verkehrten. Das von der kalten, kristallinen Madrider Abendluft gedämpfte Licht der Straßenlaternen zeichnete kaum Kreise zwischen die Bäume und Hecken auf dem Boulevard. Als er losmarschierte, löste sich aus der Dunkelheit die Gestalt eines hochgewachsenen Mannes, der entschlossen auf das Palais zuzusteuern schien. Der Engländer blieb stehen, und der Unbekannte setzte, vielleicht weil er sich beobachtet fühlte, seinen Weg mit den Händen in den Manteltaschen und den übers Gesicht geklappten Aufschlägen fort, um wieder in der Dunkelheit zu verschwinden. Obwohl er weder zuvor noch jetzt sein Gesicht erkannt hatte, war sich Anthony sicher, dass es derselbe Mann war, den er am Vormittag im Garten bei einem intimen Treffen mit der rätselhaften Frau in Grün gesehen hatte.

6
    Als er ihm den Zimmerschlüssel gab, teilte ihm der Empfangschef des Hotels mit, am Nachmittag habe ein Herr nach ihm gefragt.
    «Sind Sie sicher?»
    «Absolut. Ich habe selbst mit ihm gesprochen, und er hat Ihren Vor- und Nachnamen genannt. Er hat keine Nachricht hinterlassen und auch nicht gesagt, ob er wiederkommt. Seinem Aussehen nach war er Ausländer, aber er hat so gut Spanisch gesprochen wie Sie, und mit einem besseren Akzent, wenn Sie mir die Bemerkung erlauben.»
    Während er in sein Zimmer hinaufging, fragte sich Anthony, wer dieser anonyme Besucher sein und wie er ihn gefunden haben mochte, wo er doch niemandem seine Unterkunft genannt hatte. Zwar hatte er sich bei seiner Ankunft ins Gästebuch eingetragen, und vielleicht hatte die Hoteldirektion der Polizei die Anwesenheit eines neuen Gastes mitgeteilt, überdies eines Ausländers. Viele Ausländer reisten über Madrid, doch jetzt herrschten außergewöhnliche Umstände, dachte er. Aber wenn es ein Polizist war, der sich nach ihm erkundigt hatte, warum hatte er sich denn nicht ausgewiesen? Und vor allem, welches Interesse konnte die Polizei oder sonst jemand an ihm haben? Sollte in London etwas vorgefallen sein, und die Botschaft suchte ihn? Wozu die ganze Geheimniskrämerei?
    Während er darüber nachdachte, griff er zu einem Buch, das er schon im Zug vergeblich zu lesen versucht hatte. Aber auch in der Einsamkeit des Zimmers konnte er sich nicht konzentrieren. Nach einer Weile klappte er es wieder zu und verließ das Hotel, um einen Spaziergang zu machen.
    Die Kälte auf der Straße war beißend, doch im Stadtzentrum herrschte ein großes Gedränge. Als er die Menschen so gemächlich und sorglos umherbummeln sah, alle in die für die witzigen Madrilenen typischen Wortgefechte verwickelt, fiel alles Misstrauen von ihm ab, und er fühlte sich angesteckt von der Lebenslust, die in der Luft hing und derentwegen er so gern in Spanien war.
    Ziellos vor sich hin schlendernd, gelangte er vor eine Schenke, in der er, wie er sich erinnerte, auf früheren Reisen auch schon gewesen war. Aus der Tür drangen Stimmen und Gelächter und luden zum Eintreten. Im Inneren hätte keine

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