Katzenkrieg
Wahrnehmung der Wirklichkeit änderten: Er konnte nicht länger so tun, als wüsste er von nichts; bevor er einen weiteren Schritt unternahm, musste er einige Punkte klären, sich dessen bewusst sein, worauf er sich einließ. Der gesunde Menschenverstand gab deutlich die vernünftigste Handlungsweise vor: alles stehen und liegen lassen und unverzüglich nach England zurückkehren. Das hieß aber auch, beruflich eine einmalige, unwiederbringliche Chance zu verpassen. Im Moment deutete nichts darauf hin, dass es einen direkten Zusammenhang gab zwischen den Darlegungen und Andeutungen der Polizei und dem möglicherweise illegalen Verkauf eines Bildes, der, wenn überhaupt illegal, rein administrativer Natur und ohne politische oder andere Konnotationen war. Im Übrigen betraf eine mögliche Illegalität in keiner Weise jemanden, der einzig und allein die Echtheit eines Kunstwerks beglaubigte. Was danach geschähe, ging ihn nichts an, und je mehr er davon in Erfahrung brächte, desto mehr ließe er sich in etwas verstricken. Für ihn stand nicht im Geringsten fest, dass ein Delikt begangen würde. Er war Ausländer in einem Land, wo das Chaos herrschte, und überdies schützte ihn das Berufsgeheimnis. Am besten stellte er keine Nachforschungen an.
Außerdem erforderten prosaischere Dinge seine Aufmerksamkeit: Er musste so schnell wie möglich zum Herzog gehen und die Verspätung erklären, damit sie nicht gerade jetzt, als die Vereinbarung an einen entscheidenden Punkt gelangt war, als Fahnenflucht interpretiert würde. Zuvor aber musste er sich rasieren, waschen und umziehen. Zu allem Überdruss begannen auch noch die ersten Schneeflocken zu fallen und hinterließen auf dem Asphalt schwarze Punkte.
Zügig marschierte er zum Hotel. Auf dem Türvorleger streifte er sorgfältig die Schuhe ab, um keine Rüge des Empfangschefs einstecken zu müssen, der, als er seiner ansichtig wurde, das ernsthafte Gesicht eines Mannes aufsetzte, welcher eben mitverfolgt hat, wie ein Gast des Hauses von einem Behördenvertreter abgeführt wird. Zerstreut verlangte Anthony den Schlüssel und fragte, ob jemand in seiner kurzen Abwesenheit nach ihm gefragt hatte.
«Und ob», sagte der Empfangschef knapp. «Sie allein geben mehr Arbeit als alle anderen Gäste zusammen.»
Kurz nach seinem Weggang habe ein Mann angerufen und sich erkundigt, ob er anwesend sei. Als der Empfangschef gesagt habe, der Engländer sei ausgegangen, habe der Mann wissen wollen, wann denn und wohin. Der Empfangschef habe den Ahnungslosen gespielt; er habe ja keinen Gast kompromittieren und noch weniger sich selbst in Schwierigkeiten bringen wollen. Jedenfalls habe der andere verärgert oder beunruhigt gewirkt oder beides zusammen. Er habe weder seinen Namen noch seine Telefonnummer hinterlassen, so dass man ihn nicht zurückrufen könne, wie der Empfangschef nahegelegt habe. Eine knappe halbe Stunde später habe ein sehr hübsches Mädchen einen Brief gebracht. Bei diesen Worten runzelte der Empfangschef die Stirn: Es gefiel ihm gar nicht, dass ein kleines Mädchen mit Briefchen für einen Gast ins Hotel kam, und noch weniger, dass er bei dieser Korrespondenz als Mittelsmann fungieren musste. Anthony fiel keine befriedigende Erklärung ein, er schwieg. Ohne die Stirn zu entrunzeln, händigte ihm der Empfangschef den Brief aus.
In seinem Zimmer riss er den Umschlag auf und las auf einem aus einem Notizblock gerissenen Blatt die knappe Mitteilung: «Wo stecken Sie bloß? Um Himmels willen, rufen Sie die Nummer 36126 an.»
Da das Zimmer kein Telefon hatte, ging er wieder in die Rezeption hinunter und bat, dort ein Telefon benutzen zu dürfen. Der Empfangschef deutete auf den Apparat auf dem Empfangstisch. Etwas weniger Öffentlichkeit wäre Anthony lieber gewesen, aber um keinen Verdacht zu erwecken, nahm er das Angebot an und wählte die Nummer. Sogleich antwortete Paquita. Der Engländer gab sich zu erkennen, und sie sagte leise, als befürchtete sie, gehört zu werden: «Woher rufen Sie an?»
«Aus der Rezeption meines Hotels.»
«Sie haben uns mit Ihrem Ausbleiben sehr beunruhigt. Ist etwas passiert?»
«Natürlich. Ich werde Sie in der nächsten Sitzung unterrichten», antwortete Anthony mit der erzwungenen Natürlichkeit eines Geschäftsmanns bei der Ausübung seines Berufs.
Ein Schweigen trat ein, und danach sagte sie: «Kommen Sie nicht zu uns. Kennen Sie Jesús de Medinaceli?»
«Ja, das ist eine sevillanische Bildhauerarbeit aus dem 17.
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