Katzenmond
Ich möchte ergänzen, dass auch ich mit dem Beil umzugehen weiß, wenn jemand seine Finger zu weit in mein Gebiet streckt.« Liebermann drückte seine Zigarette aus und warf einen Blick durch das Panoramafenster des Instituts. »Das Katharinenholz ist ein schönes Stück Wald«, sagte er versonnen. »Man muss die Natur schon ziemlich satt haben, um sich die Beine ausgerechnet vor der Aphrodite zu vertreten.« Er zog die Jacke an und ließ sie stehen.
Mit gefurchter Stirn sah Franziska ihm nach. In ihren Eingeweiden rumorte etwas, das sich in Urlauten niederschlagen wollte. Sie fummelte noch eine Zigarette aus der Schachtel und streckte sich nach den Streichhölzern, die schief auf dem Fensterbrett lagen, so wie Liebermann sie hingeworfen hatte. Doch noch ehe ihre Finger dort angelangt waren, erstarrte sie.
Sie ließ die Zigarette in den Aschenbecher fallen und rannte zum Obduktionssaal.
Die Tür stand offen, etwas, das sie normalerweise unter keinen Umständen duldete. Im Moment war es ihr schnurz. Auchdie Alte und ihr Tumor waren ihr schnurz. Sie stürzte auf den Vitrinenschrank zu, riss ihn auf und schrie.
Ein Schwall von Flüchen ergoss sich über die Kacheln bis hinauf zur Decke, wo sie zu einer schwarzen Wolke des Hasses verwuchsen. Es fehlte nicht viel, und es würde Asche regnen. Aber auch das brachte den Ring nicht zurück.
Als Serrano an Majas leerem Sockenlager ankam, bedauerte er den Tod seiner Tochter zum ersten Mal von ganzem Herzen. Krümel hatte immer Bescheid gewusst, wo ihre umtriebige Mutter sich aufhielt, oder zumindest, in welcher Mission sie gerade unterwegs war. Diesmal entschied er sich, zwischen den Astern im Vorgarten des Ladens zu warten. Die Blumen rochen muffig, aber Serrano war durch ein halbes Jahr in Gesellschaft der stinkenden Blüten auf Bismarcks Grab abgehärtet, und außerdem gaben sie ihm Deckung.
Kaum hatte er sich zwischen den Stauden niedergelassen, schreckte er wieder hoch. Von rechts passierten zwei braune Schuhe sein Versteck. Im Grunde nichts Besonderes für einen, der täglich Hunderten von Schuhen auswich. Aber die wenigsten besaßen so helle Sohlen wie diese.
Ohne ein Geräusch zu verursachen, pirschte Serrano durch die Asternköpfe und schlüpfte zwischen zwei Zaunstreben hindurch auf den Weg.
Die Schuhe verschwanden gerade um die Ecke. Serrano rannte hinterher und prallte um ein Haar gegen ein Vierrad, das sein Hinterteil eben dröhnend in die Einfahrt zum Laden schob. Als er es erschrocken umrundete, stieß er mit Ben zusammen.
»Holla!«, machte Ben.
Serrano schüttelte sich und rannte weiter. Eine Sekunde später kehrte er zurück. »Er ist weg«, sagte er enttäuscht.
»Wer?«
»Der Mensch, den ich verfolgt habe.«
»Du verfolgst Menschen ?«, fragte Ben.
»Heute schon. Fällt dir zu braunen Schuhen mit hellen Sohlen etwas ein?«
Bens Schnurrhaare spreizten sich besorgt. »Es tut mir wirklich leid, was mit Krümel passiert ist. Umso mehr, als sie eine von wenigen mit einer nahezu reinen Seele war. Ich habe ihr ein Hühnerbein geopfert. Braune Schuhe mit hellen Sohlen? Nicht, dass ich wüsste. Frag Maja, die achtet auf so etwas. Ich bin auch gerade auf dem Weg zu ihr, wir könnten zusammen gehen.«
»Sie ist nicht da.«
»Ich weiß.« Ben kratzte sich die Nase. »Sie hat mich zu Streuners Wagen beordert. Wegen des Komposts.«
»Was ist mit dem Kompost?«, fragte Serrano scharf.
Bens Schwanz beschrieb einen flachen Halbkreis. Die Ungeduld seines ehemaligen Princeps machte ihn nervös. »Ich geh ab und zu dort vorbei, wegen der Wühlmäuse. Gerade jetzt jungen sie rund um die Uhr, verstehst du? Außerdem bekommt mir der Frieden der Endlichkeit dort. Die meisten der Unsrigen reagieren auf Kleinigkeiten nur so gereizt, weil sie ohne Unterbrechung Lärm ausgesetzt sind: Vierrädern, Menschen …«
Serrano, der einen Vortrag über Bens Lieblingsthema witterte, unterbrach ihn. »Abgesehen von den Wühlmäusen: Ist dir auf oder in der Nähe des Komposts etwas aufgefallen, das Maja interessieren könnte?«
Bens Schwanz senkte sich. »Ich mache dir einen Vorschlag: Wenn du ohnehin gerade zu ihr wolltest, warum kommst du nicht einfach mit? Das würde es mir ersparen, mich zu wiederholen, verstehst du?«
Das sah Serrano ein.
»Ein toller Bursche, der Streuner«, sagte Ben warm, als sie unterwegs waren. »So ungebunden und entspannt.« Er machte eine vielsagende Pause. »Und er versteht was vom Essen«,fügte er hinzu. »Mit etwas Glück hält er einen
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