Katzenmond
kam es nicht. Als der Faden etwa einen Meter lang war, hörte sie auf zu ziehen. »Sind Sie jemandem begegnet, als Sie eben durchs Haus gegangen sind?«
»Eine junge Frau schlenderte mit einem Handtuch über der Schulter durch den Flur im zweiten Stock«, entgegnete Liebermann. »Warum?«
»Haben Sie ihr gesagt, wer Sie sind?«
»Dazu bin ich nicht gekommen. Sie war mit ihrem Telefon beschäftigt.«
Constanze seufzte. »Sie verstehen sicher, dass es keinen besonders vorteilhaften Eindruck macht, wenn die Polizei mir selbst am Abend noch Besuche abstattet.«
Liebermann hob die Brauen. Er hatte falschgelegen. Offenbar hatte die junge Frau während der letzten Minuten nicht ihr Leben, sondern mögliche Konsequenzen ihrer Liebesgeschichteaus der Decke gezogen. Es musste ein ziemlicher Rattenschwanz sein.
»Wie stehen Sie eigentlich zu Ihrer Schulleiterin?«, erkundigte er sich.
Constanze warf ihm einen raschen Blick zu. »Sie ist eine tolle Lehrerin und ein großartiger Mensch. Ihrer Großmut habe ich zu verdanken, dass ich überhaupt hier bin. Ich hatte zu wenig Geld für die Studiengebühren und die Internatskosten, dafür aber einen halbblinden Hund und drei Katzen.«
»Eine beachtliche Menagerie. Hat Frau Laurent erwähnt, warum sie Sie dennoch aufgenommen hat?«
Sie begann wieder mit der Decke zu spielen. »Zur Bewerbung für die Aufnahme an der Schule gehören einige Tests, bei denen Charakterstärke, Intelligenz, Empathie und dergleichen geprüft wurden. Ich hatte bei allen die volle Punktzahl. Über einen Bekannten hat Frau Laurent mir schließlich ein Stipendium besorgt. Er unterstützt auch Alina, zwei Zimmer rechts von meinem.«
Liebermann sah deutlich die Frage vor sich, die ihn nachher beim Einschlafen beschäftigen würde. Wie stellte man sich wohl einen Bekannten vor, der großzügig Ausbildungen an einer Schule für Liebeskunst finanzierte? In Constanzes Gesicht las er, dass er sie danach gar nicht erst zu fragen brauchte. Stattdessen versuchte er es noch einmal mit den Feinden. Aber auch da biss er auf Granit. Sie klemmte die Hände zwischen die Schenkel und schüttelte den Kopf. »Ich soll einer meiner Mitschülerinnen unterstellen, Knut getötet zu haben, und ihr die Sache in die Schuhe schieben? Entschuldigen Sie, Kommissar, das können Sie nicht von mir verlangen. Vermutlich habe ich den Ring irgendwo verloren.«
»Vielleicht bei einem Ihrer heimlichen Treffen in der Möwe?«
»Vielleicht. Manchmal hat der Ring mich gestört, besonders, wenn ich jemanden berührt habe, wenn Sie verstehen.«
Liebermann verstand vor allem, dass er so nicht weiterkam.
»Nun gut. Es ist Ihr Leben. Aber das eines anderen ist vorbei. Interessiert es Sie denn gar nicht, warum?«
Sie schwieg und rupfte an ihrem Wollfaden. Dann sagte sie übergangslos: »Komisch: Ich habe Knut dasselbe gefragt, als er sich darüber lustig gemacht hat, dass ich mich an der Aphrodite beworben habe.«
»Warum haben Sie sich eigentlich beworben?«
Sie lächelte. »Können Sie sich das nicht denken?«
»Ich würde es lieber von Ihnen hören«, sagte Liebermann und lächelte zurück.
»Stellen Sie sich einfach vor, ich hätte es gesagt.«
Liebermann ließ das Thema fallen. Es frustrierte ihn zunehmend, dass das Mädchen ihn nach ein paar Andeutungen jedes Mal ins Leere rennen ließ. Langsam kumulierte sein Ärger darüber in dem Wunsch, sie dafür zu bestrafen. Aber wie es aussah, tat sie das bereits selbst. Wenigstens auf die Frage, wo sie Kaiser kennengelernt hatte, antwortete sie, ohne sich in Rätseln zu ergehen: während eines Arztbesuchs in seiner Praxis. Es hatte sofort gefunkt, und bei der Nachuntersuchung hatten sie sich verabredet, ohne Rücksicht darauf, dass Kaisers Frau wenige Meter weiter am Empfangstresen saß. Die Erinnerung daran erfüllte Constanze, wie Liebermann an ihrer gebrochenen Stimme und einem neuerlichen Tränenfluss ablas, mit tiefer Reue.
Er beschloss, es für den Augenblick dabei zu belassen.
»Achten Sie nicht auf den Namen«, sagte er, als er ihr eine von Hauptkommissar Ottos Visitenkarten gab. »Die Nummer stimmt. Auf der Rückseite steht meine Handynummer, damit Sie mich jederzeit erreichen, falls Ihnen noch etwas einfällt.«
Sie hielt die Karte zwischen den Spitzen von Daumen und Zeigefinger, als fürchte sie, dass sie sich jeden Augenblick selbst zerstören könne, und legte sie schließlich vorsichtig auf dem Schreibtisch ab, um ihrerseits nach einem Zettel zu greifen.
»Quitt«, sagte
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