Katzenmond
spezialisierten Tischler geknüpft.« Vivian Kaiser brach ab und trat in stummen Gedankenaustausch mit dem Muster des Küchenparketts. Nach einer Zeit, die ihm angemessen schien, beendete Liebermann ihn, indem erihr einen Ausdruck des Mailwechsels zwischen Constanze und Kaiser unter die Augen schob.
Sie flog abwesend über die ersten Zeilen, dann versteifte sie sich plötzlich. »Was soll das?«
»Ich habe eigentlich gehofft, Sie könnten es mir sagen. Diese Mails wurden wenige Tage vor dem Tod Ihres Mannes kurz nach ein Uhr mittags geschrieben. Und zwar auf seinem Computer, denn dort befinden sich die Originale. Allerdings im Ordner der ›Gelöschten‹, was mich wundert. Ich hätte erwartet, dass Ihr Mann die Mails entweder behalten oder aber sie ordentlich beseitigt hätte.«
Die Witwe presste die Lippen zusammen und überflog die Mitteilungen bis zum Ende. »Ihr Kollege braucht lange auf der Toilette«, sagte sie, als sie sie ihm zurückgab.
»Er hat Dünnpfiff. In unserer Kantine stand in letzter Zeit häufig Sauerkraut auf dem Plan. Warum haben Sie die Mails gelöscht?«
Mit vor Eifer geröteten Wangen kam Simon in die Küche geschneit und überreichte Liebermann ein Buch. »Das hab ich auf dem linken Nachttisch gefunden. Es steht etwas über Tollkirschen drin.«
Liebermann betrachtete den Einband. »Hexensalben und Hasendreck« , las er.
»Der linke ist Knuts Nachttisch«, sagte Vivian Kaiser steif. »Und mit den Mails habe ich nichts zu tun.«
»Dann«, erwiderte Liebermann und ließ das Buch sinken, »erklären Sie uns, wie es kommt, dass sie allesamt um eine Uhrzeit gesendet worden sind, in der Ihr Mann sich für gewöhnlich in seiner Praxis befand. Und warum sie später so dilettantisch gelöscht wurden.«
Die Witwe zog die Pupillen zusammen. Für Bruchteile von Sekunden verharrten sie in Normalgröße, bevor sie plötzlich mit der Geschwindigkeit schwarzer Löcher auseinanderglitten undin der Iris explodierten. »Seit einer knappen Woche«, sagte sie drohend, »liegt mein Mann in einem Kühlschrank. Und Sie haben nichts Besseres zu tun, als mich wegen einiger alberner Mails in Handschellen zu legen?«
Liebermann war sprachlos. Erst jetzt fiel ihm auf, wie schön Vivian Kaiser wirklich war. Anders als Constanze van Hoefen, weniger kristallen, weniger auf einen Heiligenschein hin geschnitten und vor allem wütender, aber dadurch umso mehr.
»Warum helfen Sie uns nicht einfach, Ihren Mann aus dem Kühlschrank wieder herauszuholen?«, fragte er sanft.
Sie machte eine eckige Armbewegung und stieß mit dem Ellbogen gegen die Spüle. Der Schmerz endlich brachte sie wieder zu sich. »Manchmal ist Knut in der Mittagspause joggen gegangen«, murmelte sie, während sie ihren Arm rieb. »Einmal die Hauptallee im Park rauf und runter, ungefähr eine halbe Stunde. In der Zeit hätte er es theoretisch auch nach Hause geschafft.«
»Und Sie sind derweil in der Praxis geblieben?«
»Ja, es sei denn, ich hatte Dienstschluss.«
Liebermann hielt ihr den Ausdruck noch einmal unter die Augen.
»Ich möchte, dass Sie darüber nachdenken, ob sich die Joggingrunden Ihres Mannes mit den Zeiten dieser Mails decken. Zudem würde ich gern Ihren Dienstplan sehen oder Ihren Kalender, falls Ihre Dienste dort verzeichnet sind.«
Er wartete, bis Vivian Kaiser ihren Widerstand aufgab.
»Montags, mittwochs und freitags habe ich um zwölf Schluss gemacht. Der Dienstplan hängt in der Praxis. Und was Knuts Pausen angeht: keine Ahnung.«
»Versuchen Sie sich zu erinnern«, drängte Liebermann. »Es ist schließlich erst zwei Wochen her.«
Sie starrte ihn eine Weile an, dann keuchte sie plötzlich auf und brach in ein schrilles Lachen aus. »Zwei Wochen? Nein, mindestens zwei Jahre! Das da«, rief sie und riss ihm die Blätter ausder Hand, »ist in einem völlig anderen Zeitalter geschrieben worden. Und jetzt: raus!«
»Sie hätten sie nicht so hart rannehmen sollen!«, sagte Simon, als sie die Treppe hinunterstiegen. »Ein Blinder kann sehen, dass die Frau mit den Nerven am Ende ist.«
»Mag sein«, erwiderte Liebermann. »Aber er würde auch riechen, dass hier etwas stinkt.«
»Das Buch?«
»Wie? Nein, das nicht. Im Gegenteil: Ich möchte bezweifeln, dass jemand ein Buch über Naturheilpflanzen auf dem Nachttisch liegen lässt, nachdem er einen Giftmord begangen hat. Genauso wie ich bezweifle, dass jemand einen Mord abrundet, indem er dem Opfer den eigenen Ring in den Hals stopft. Ich meine die Mails, Simon. Und das
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