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Katzenmond

Katzenmond

Titel: Katzenmond Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: C Anlauff
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Prozedere war immer dasselbe: Sie übergab meine Tochter in die Obhut der Versuchsleiterin. Dann ging sie in einen Aufenthaltsraum, wo sie sich die Zeit mit Lesen oder anderen Beschäftigungen vertrieb, bis ihr Miri etwa eine Stundespäter wieder zurückgebracht wurde. Was tut der eigentlich da?«
    Kurz vor der Bordsteinkante war der Rentner stehen geblieben. Einen Wimpernschlag lang verharrte er völlig regungslos, dann drehte er um und schlurfte auf die Seite zurück, von der er gekommen war. Liebermann sah ihm verblüfft nach, bis das Hupen ihres Hintermannes ihn aufrüttelte.
    »Eine Stunde«, murmelte Simon, als sie wieder im Strom der Fahrzeuge schwammen. »Reicht das, um einen Mann zu vergiften und wegzuschaffen?«
    »Es wäre möglich, wenn sie ihn in der Nähe des Sprachlabors vergiftet hätte«, entgegnete Liebermann. »Vielleicht sogar schon vor dem Test. Ein gemütliches Mittagessen im Kreise der Familie. Dann schließt sie ihn ein, bis sie ihre Tochter sicher in den Händen der Logopäden weiß, und kehrt zurück, um ihn im Auto an die Havel und in einen uns bislang unbekannten Unterschlupf zu bringen. Sie muss ihn nicht einmal gleich dorthin bringen, ein präparierter Keller tut es vorläufig auch oder irgendein anderer, halbwegs schalldichter Raum. In dem Fall hat sie mit der Überführung Zeit bis zum späten Abend, wenn die Kleine im Bett liegt und sie weniger Zeugen zu befürchten hat. Ich bin mir nur nicht sicher, ob ich Vivian Kaiser einer solchen Tollkühnheit für fähig halte. Zum Beispiel bestand die Gefahr, dass der Test früher als geplant zu Ende war oder aus irgendeinem Grund abgebrochen werden musste. Bei Kindern weiß man nie. In dem Fall wäre sie erledigt gewesen.«
    In einiger Entfernung blinkten die Lichter der nächsten Ampel. Dahinter begann die Brandenburger Vorstadt.
    »Ist Ihnen der Name Schopenhauer schon mal untergekommen?«, fragte Liebermann übergangslos.
    Simon kratzte sich das Kinn. Die Gedankensprünge seines Vorgesetzten begannen ihn anzustrengen. »Sicher. Dort liegt das bewusste Sprachlabor.«
    »Ich meine nicht die Straße, sondern ihren Namenspatron.«
    »Ach so. Ein Schriftsteller? Maler? Keine Ahnung, aber wer immer es ist, er hat sicher ein Alibi für beide Morde.«
    Liebermann wandte sich zu ihm. Für einen Augenblick verlor Simon sich in zwei mitternachtsblauen Augen. Woher kam plötzlich der metallene Geschmack in seinem Mund? Er schluckte und riss sich los.
    »Schopenhauer war Philosoph. Einer seiner Thesen zufolge ist die Welt und damit die Wahrheit für uns Menschen nicht erkennbar, denn alles, was uns begegnet, fällt in den Topf unserer persönlichen Wahrnehmung. Wir sehen etwas und denken, es ist so. Schopenhauer bestreitet das. Er behauptet, dass es eine Wahrheit hinter der gibt, die uns zugänglich ist. Und in dieser fernen Wahrheit verknüpfen sich alle Fäden.« Lächelnd überholte Liebermann einen Lieferwagen und bremste vor der nächsten Ampel. »In Vivian Kaiser verknüpfen sie sich noch nicht, bisher ist sie nur ein Bröckchen im zugegeben ziemlich kleinen Topf unserer Wahrnehmung.«
    Durch das Fenster beobachtete Simon ein Punkmädchen, das seinem Hund mit ernster Miene irgendetwas erklärte. Er hoffte für den Hund, dass es nicht die Sache mit dem Topf wäre. Offen gestanden hatte er davon kaum die Hälfte kapiert, was zum Teil daher rührte, dass der Blick seines Vorgesetzten ihm den Verstand verkleisterte. Als es in Liebermanns Jackentasche piepte, brauchte er deshalb eine Weile, um dessen Wink zu verstehen.
    »Stellen Sie auf Mithören«, bat Liebermann. »Das wird Kommissarin Holzmann sein. Ich habe sie um eine kleine Recherche gebeten.«
    Mit steifen Fingern wühlte Simon in Liebermanns Tasche und verhedderte sich in einer offenen Naht, ehe er das Handy zu fassen bekam.
    »Ich soll Ihnen ausrichten, dass Oberkommissar Müller stinkwütendist«, sagte Kommissarin Holzmanns Stimme, kaum dass er abgenommen hatte.
    Mit den Augen wies Liebermann Simon an, das Telefon zwischen sie zu halten. »Müller ist meistens wütend. Wie steht es mit Ihnen?«
    »Geht so. Ich hab diese Morgenstern aufgetrieben.«
    »Wo hatte sie sich denn versteckt?«
    »Im Sterberegister.«
    »Moment!« Liebermann scherte aus der Reihe der Fahrzeuge und schlitterte in eine Seitenstraße, wo er vor einem kleinen Café hielt. Er nahm Simon das Telefon aus der Hand und legte es auf die Ablage. »Jetzt.«
    »Also«, sagte Kommissarin Holzmann, »Sylvia Morgenstern ist am

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