Katzensprung
der in der ersten
Vernehmung ausgesagt hatte, Ramona habe ihn einmal angemacht.
»Kommt ihr beide gleich mal zu mir, wenn ihr euer Brötchen gegessen
habt«, sagte sie, »ich muss ein paar Sachen nachfragen.«
Olga wollte in Lepples Raum gehen, als über den düsteren, seit
Jahrzehnten nicht renovierten Flur ein etwa elfjähriges Mädchen angehumpelt
kam, das laut heulte und sich das Schienbein hielt, gefolgt von zwei weiteren
Mädchen mit angstvoll aufgerissenen Augen. Amanda Springer kam aus dem
Lehrerzimmer.
Der Kevin habe wieder getreten, empörten sich die Mädchen, die
Yasmin habe nichts getan. Yasmin zog ihr Hosenbein hoch; das Schienbein war
geprellt und rot angelaufen.
»Der Kevin«, schimpfte Amanda, »natürlich, wer denn sonst.« Sie
beugte sich zu dem Kind hinunter. »Tut’s noch weh? Kannst du laufen?«
Amanda brachte Yasmin zu der Liege im Schulsekretariat, die für
solche Fälle bereitstand, dann lief sie zum Ausgang. Kevin balgte sich vor der
Tür mit einem anderen Jungen und sah fort, als sie ihm Vorhaltungen machte und
ihm befahl, sich bei Yasmin zu entschuldigen.
Sie schob ihn zu der Liege. Das Mädchen sah Kevin nicht an, als er
kalt »’tschuldigung« nuschelte und sich sofort wieder umdrehte. Die Lehrerin
drohte, das werde eine Schulkonferenz nach sich ziehen, und ließ ihn laufen,
dann kam sie auf Olga zu. Die Haut ihres Dekolletés war fleckig, auf der Stirn
hatte sie Schweißperlen.
»Das ist unser täglich Brot«, sagte sie, »besonders prickelnd, wenn
man in den Wechseljahren ist. Und wenn die Hälfte des Kollegiums sich in
Dauerkrankheit verabschiedet hat – Frau Wenkler gehörte ja auch zu denen. Die
muss unsereins alle noch mit durchziehen. Der Schüler eben gehört auf die
Schule für Erziehungsschwierige, von denen haben wir hier einige. Einer reicht
schon, um den ganzen Laden zu sprengen. Jetzt kann ich gerade noch aufs Klo.«
»Das zum Thema faule Lehrer«, sagte Olga in das Läuten hinein, das
die Pause beendete. »Ich beneide Sie wirklich nicht um Ihren Job.«
Karim und Melek nahmen mit ernsten Gesichtern Platz.
»Wir möchten Frau Wenkler nichts Böses nachsagen«, begann Karim
stockend, »sie ist ja ein verstorbener Mensch, und das tut man nicht. Mir tut
es leid, dass ich so negativ über sie gesprochen habe, und Melek auch. Wir
denken, dass sie krank war und Hilfe brauchte, stattdessen haben wir sie
verspottet und verhöhnt und ihr Böses nachgesagt.«
Melek nickte eifrig. »Wir haben im Unterricht mit Herrn Brinkmann
darüber gesprochen.«
Olga war fast gerührt. »Ich sehe das auch so«, sagte sie, »und ich
bin froh, dass ihr so viel Respekt habt. Wir können Frau Wenkler Gerechtigkeit
verschaffen, wenn wir herausfinden, wie sie zu Tode gekommen ist. Wir wissen es
noch nicht, wir müssen verschiedene Situationen durchspielen. Es hilft uns,
wenn wir ihr Verhalten kennen, und deshalb ist es wichtig, dass ihr mir eure
Erinnerungen so genau wie möglich beschreibt.«
Sie machte sich Notizen, während die Jungen von verschiedenen
Situationen berichteten, die sie mit Ramona Wenkler erlebt hatten.
»Am Anfang fanden wir sie toll«, sagte Karim verlegen, »sie sah ja
gut aus, und sie guckte einen so an, na ja, wie soll ich es sagen, als sei man
ein Mann, der ihr gefällt, man fühlte sich nicht schlecht dabei. Sie hatte ja
diese grünen Augen, die ließ sie irgendwie glitzern, als würde sie einen locken
oder so.«
»Sie kam manchmal auf dem Schulhof in die Raucherecke und rauchte
mit uns, das tat sonst kein Lehrer«, ergänzte Melek. »Sie war dann ganz
kumpelig und nett, manchmal jedenfalls. Und halt immer dieser Blick, man
dachte, sie baggert einen an. Aber sie konnte auch genau andersrum sein,
launisch und fies, da haute man besser ganz schnell ab.«
Olga nickte. »Wann und wie war das genau, als sie dich gefragt hat,
ob du was mit ihr trinken gehst?«
Melek guckte auf den Boden. »Es ist ungefähr drei Monate her«, sagte
er leise, »es war ein Freitag in der Zwölf-Uhr-Pause, da war sie auch auf dem
Schulhof in der Raucherecke. Man konnte sehen, dass es ihr schlecht ging, sie
war verquollen im Gesicht und steckte sich eine Zigarette an der anderen an.
Ich glaube, sie hat drei Stück hintereinander geraucht. Dann klingelte es, und
ich stand alleine da, die anderen waren schon reingegangen. Da kam sie sehr
nahe an mich heran, sie roch nicht gut, nach Zigaretten und Alkohol und nicht
geduscht.«
»Was hat sie genau gesagt?«
Melek knetete seine Finger und
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