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Katzentisch - Ondaatje, M: Katzentisch

Katzentisch - Ondaatje, M: Katzentisch

Titel: Katzentisch - Ondaatje, M: Katzentisch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Ondaatje
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von Ramadhin und mir gewesen, wenn wir uns zu dritt in einer Stadt herumtrieben, in der wir nicht recht zu Hause waren und wo man uns das auch immer wieder zu verstehen gab; wir bewegten uns in einem unbekannten und begrenzten Universum, fuhren mit dem Bus zum Schwimmbad in Bromley oder zu der öffentlichen Bibliothek von Croydon oder nach Earl’s Court, um die Bootmesse oder eine Hundeausstellung oder eine Automobilausstellung zu besuchen. Wahrscheinlich hatten wir beide noch immer die jeweiligen Buslinien im Kopf gespeichert. Sie hatte alle Veränderungen miterlebt, die ich in unserer Jugend durchgemacht hatte. All das war in ihrem Inneren bewahrt.
    Und dann eine Lücke von acht Jahren.
    »Ich fliege morgen nachmittag, aber wenn alles gutgeht, komme ich nächsten Monat wieder.«
    Sie stand im Eingangsraum und sah mich an, und ungemindertes Entsetzen über den Verlust ihres Bruders stand ihr ins Gesicht geschrieben. Neben ihr war ihr Freund und hielt sie am Ellbogen. Wir hatten uns früher am Abend unterhalten. Falls er nicht ihr Freund war, wäre er es zumindest gern gewesen.
    »Gut, sag mir Bescheid, wenn du wieder da bist«, sagte Massi.
    »Das tu ich.«
    »Massi, warum begleitest du Michael nicht zum Bahnhof? Dann hättet ihr Zeit zum Reden«, sagte Mrs. R.
    »Ja, komm mit«, sagte ich. »Auf diese Weise hätten wir eine Stunde Zeit füreinander.«
    »Ein ganzes Leben«, sagte sie.
     
    Massi lebte in der öffentlichen Hälfte der Welt, in der Ramadhin sich nur selten aufhielt. Sie kannte kein Zögern. Sie und ich sollten später eine große Portion unserer beider Leben teilen. Und unabhängig vom Schicksal unserer Beziehung, ihren Höhen und Tiefen, bereicherten und beschädigten wir einander mit der Lebhaftigkeit, die ich teilweise von ihr lernte. Massi war entscheidungsfreudig. Sie glich Cassius vermutlich mehr als ihrem Bruder. Auch wenn ich heute weiß, dass die Welt sich nicht einfach in zwei Arten von Temperament aufteilen lässt. Doch in der Jugend denkt man so.
    »Ein ganzes Leben«, hatte sie gesagt. Und in jener Stunde tat ich die ersten Schritte zurück in Massis Leben. Wir gingen zusammen zum Bahnhof, und während wir redeten, gingen wir immer langsamer. Dort, wo die Straße an einem Fußballplatz entlangführte, gelangten wir in völlige Dunkelheit, und uns war zumute, als flüsterten wir in dem unbeleuchteten Winkel einer Bühne. Wir sprachen hauptsächlich über sie. Sie wusste schon genug über mich, über meine kurze und unerwartete Karriere, die mich nach Nordamerika geführt und aus ihrer Welt entfernt hatte. ( »Du bist gekommen, das hätte ich nicht gedacht.« »Du bist nie da.« ) Wir legten die fehlenden Jahre frei. Selbst mit Ramadhin hatte ich nur sporadisch Kontakt gehalten. Hin und wieder hatte ich mit einer Postkarte von mir hören lassen, mehr nicht. Es gab viel darüber zu entdecken, was Massi und ihr Bruder erlebt hatten.
    »Kennst du jemanden namens Heather Cave?« fragte sie.
    »Nein. Sollte ich? Wer ist sie?« Ich dachte, es handele sich um jemanden, dem ich in Amerika oder in Kanada begegnet war.
    »Ramadhin hatte offenbar mit ihr zu tun.«
    Sie erzählte mir, dass es keine überzeugende Erklärung dafür gebe, wie Ramadhin gestorben sei. Man hatte Herzstillstand diagnostiziert, als man ihn fand, neben ihm ein Messer. Das war alles. Er hatte die Dunkelheit eines städtischen Parks in der Nähe der Wohnung des Mädchens aufgesucht. Massi erzählte mir, er sei von diesem Mädchen, seiner Nachhilfeschülerin, offenbar besessen gewesen. Doch als Massi Erkundigungen einzog, gab es nur ein vierzehnjähriges Mädchen namens Heather Cave, das er unterrichtet hatte. Sollte Ramadhin in sie verliebt gewesen sein, dann hätte ihn wahrscheinlich ein überwältigendes Schuldgefühl wie dunkle Tinte erfüllt.
    Massi schüttelte den Kopf und wechselte das Thema.
    Sie sagte, sie glaube nicht, dass ihr Bruder in England glücklich gewesen sei; sie habe den Eindruck, eine Karriere und ein Zuhause in Colombo wären ihm lieber gewesen.
    In jeder Familie von Einwanderern gibt es offenbar den einen, der in dem neuen Land, in das sie gekommen sind, nicht Fuß fassen kann. Dem Bruder oder der Ehefrau, die ihr stilles Los in Boston oder London oder Melbourne nicht ertragen können, muss ihr Leben wie ein ständiges Exil erscheinen. Ich kenne manchen, den der Schatten einer früheren Heimat hartnäckig verfolgt. Und sicher wäre Ramadhins Leben in der lässigeren und privateren Welt Colombos

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