Katzentisch - Ondaatje, M: Katzentisch
sollte es nicht kommen, denn wir sahen einander nie wieder.
Verschwanden die Jahre, als ich sah, wie sie den Träger eines Sommerkleids um einen halben Zentimeter verschob, was ich als Einladung an die Adresse unseres gemeinsamen Freundes deutete? Als wäre es auf einmal lebensnotwendig für ihn, diesen kleinen ungebräunten Teil ihrer Schulter zu sehen. Das sage ich lange nach Verbitterung, Anschuldigungen, Ausflüchten und Auseinandersetzungen. Woran lag es, dass ich an dieser Geste etwas ablas? Ich ging in unseren schmalen Garten und stand dort und lauschte auf den nächtlichen Verkehr, der an der Colliers Water Lane vorbeibrauste und mich an das ununterbrochene Rauschen des Meeres erinnerte und dann unversehens an Emily in der Dunkelheit auf der Oronsay , die sich neben ihrem Verehrer an der Reling zurücklehnte, nachdem sie kurz auf ihre nackte Schulter und dann zu den Sternen geblickt hatte, und ich erinnerte mich an die eigene Sexualität, die damals in mir zu knospen begann. Mit ganzen elf Jahren.
Ich will von dem letzten Mal berichten, als ich an Ramadhin dachte. Ich war in Italien und fragte einen Museumsführer in einem Schloss nach all den Halbmonden mit aufragenden Spitzen, weil ich mich damals für Heraldik interessierte. Mir wurde erklärt, eine Abfolge von Halbmonden und einem Schwert bedeute, dass Angehörige der Familie an den Kreuzzügen teilgenommen hatten. Beschränkte sich die Teilnahme auf eine Generation, gab es nur einen Halbmond auf dem Wappen. Und ungefragt fügte der Führer hinzu, eine Sonne auf dem Wappen bedeute, dass es einen Heiligen in der Familie gebe. Und da dachte ich: Ramadhin . Ja. Mit allem, was ihn ausmachte, war er mir plötzlich gegenwärtig, wie eine Art Heiliger. Kein besonders förmlicher Heiliger. Ein menschlicher Heiliger. Er war der Heilige unserer heimlichen Familie.
Port Said
AM 1. SEPTEMBER 1954 hatte die Oronsay ihre Fahrt durch den Suezkanal beendet, und wir sahen zu, wie die Stadt Port Said sich uns näherte und neben uns entlangglitt, unter einem von Sand verdunkelten Himmel. Wir blieben die ganze Nacht wach und lauschten auf den Straßenverkehr, auf den Chor der Hupen und Radios.
Erst in der Morgendämmerung verließen wir das Deck und stiegen hinunter in die Hitze und die gefängnisartige Beleuchtung des Maschinenraums. Das taten wir mittlerweile jeden Morgen. Hier unten schwitzten die Männer so ausgiebig, dass wir sie lauwarmes Wasser aus den Löscheimern trinken sahen, während die Turbinen um sie herum rotierten und ihre Kolben sich drehten. Sechzehn Maschinisten auf der Oronsay , acht für die Nachtschicht und acht für den Tag, die die Dampfmaschinen und ihre vierzigtausendfachen Pferdestärken überwachten, mit denen die Doppelpropeller betrieben wurden, die uns durch Flauten und stürmische See führten. Wenn wir uns rechtzeitig zum Ende der Nachtschicht einfanden, folgten wir den Männern in das Sonnenlicht, wo sie einer nach dem anderen in die Freiluftdusche traten und sich danach vom Seewind trocknen ließen, mit lauten Stimmen in der neugeborenen Stille. Unter derselben Dusche hatte eine Stunde zuvor unsere australische Rollschuhfahrerin gestanden.
Doch als wir nun in Port Said anlegten, verstummten alle Turbinen und Maschinen, und für die Mannschaft gab es neue Aufgaben und ein neues Auftreten. Ihre anonyme Arbeit wurde auf einmal öffentlich. Im Verlauf der Fahrt durch das Rote Meer und den Suezkanal hatten die Wüstenwinde zahllose Partikel des kanariengelben Anstrichs vom Schiffsrumpf abgerieben, und deshalb verbrachten wir einen ganzen Tag in dem Hafen am Mittelmeer, während Matrosen in großen Schlaufen aus Tauen hingen, um das Schiff zu putzen und neu anzustreichen, und die Maschinisten und Ingenieure sich in der Gluthitze zwischen den Passagieren zu schaffen machten, um das Schiff auf den letzten Teil der Reise vorzubereiten. Aus den Rohren wurde Altöl hochgepumpt, und die schleimige schwarze Masse wurde in Fässern gesammelt. Sobald das Schiff den Hafen hinter sich gelassen hatte, wurden die Fässer zum Heck gerollt und ausgeleert.
Unterdessen wurde der Laderaum ebenfalls teilweise geleert. Ein kurzer nachmittäglicher Regen platschte drei Decks hinunter bis auf den Boden des Frachtraums, wo durchnässte Arbeiter siebenhundertpfündige Trommeln auf den wartenden Kran zurollten und Trommeln und Ketten an T-Trägern befestigten. Sie schoben und rollten Teekisten und lange Streifen von Rohkautschuk auf die Ladeluke zu. Säcke
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