Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Katzentisch - Ondaatje, M: Katzentisch

Katzentisch - Ondaatje, M: Katzentisch

Titel: Katzentisch - Ondaatje, M: Katzentisch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Ondaatje
Vom Netzwerk:
voller Asbest zerrissen in der Luft. Es war eine konzentrierte und gefährliche Arbeit. Wenn einem der Arbeiter ein Container entglitt, konnte die Fracht fünfzehn Meter in die Finsternis fallen. Wenn jemand dabei ums Leben kam, wurde der Tote mit dem Ruderboot zum Hafen gebracht und verschwand dort.

Die zwei Violets
    INZWISCHEN HATTE MRS. FLAVIA PRINS sich an Bord der Oronsay beträchtliches Ansehen verschafft. Sie war an den Tisch des Kapitäns eingeladen worden und zweimal von den Offizieren zum Tee auf der Brücke. Aber was Tante Flavia soviel Einfluss in den Salons von Deck A verlieh, das war ihr Zusammenwirken mit ihren zwei Freundinnen und das vereinte Geschick der drei im Duplicate Bridge.
    Violet Coomaraswamy und Violet Grenier, »die zwei Violets«, wie sie von allen genannt wurden, hatten Ceylon in zahlreichen Bridge-Turnieren von Singapur bis Bangkok vertreten. Folglich waren sie den meistens unaufmerksamen Kartenspielern auf unserer Fahrt überlegen, und ohne sich als professionelle Spielerinnen zu erkennen zu geben, fügten sie den anderen vernichtende Niederlagen zu und lauerten jeden Nachmittag einem neuen schwachbrüstigen Junggesellen auf, den sie dazu verleiteten, ein paar Runden mit ihnen zu spielen.
    Die Bridgepartien waren nur der Vorwand, der das vorsichtige Auskundschaften eines eventuellen Heiratsobjekts bemäntelte, denn Miss Coomaraswamy, die jüngere der zwei Violets, hielt Ausschau nach einem Ehemann. Und obwohl sie die abgefeimteste Spielerin von den dreien war, gab sich Violet Coomaraswamy an den Kartentischen im Delilah-Salon bescheiden, reizte zu mickrig und war vorsichtig, statt zu trumpfen. Wenn sie hin und wieder wie ein Könner ein Sans Atout ausspielte, errötete sie und schrieb es ihrem Glück im Spiel zu, voller Bedauern, dass ihr kein Glück in der Liebe vergönnt war.
    Ich sehe die drei Damen heute noch vor mir, wie sie sich an ahnungslose alleinstehende Herren heranpirschten und sie in ihren Netzen einfingen, ohne dass die Opfer sich der geringsten Gefahr bewusst waren. Mit klimpernden und funkelnden Armreifen und Broschen deckten die zwei Violets und Flavia ihre Karten auf, um die Beute zu schnappen, oder drückten sie schamhaft an ihre Brust. Während der ganzen Fahrt durch das Rote Meer hegten sie die Hoffnung, dass ein Teeplantagenbesitzer mittleren Alters den Reizen der jüngsten der drei Jägerinnen erliegen würde. Doch die Beute war schussscheuer, als sie erwartet hatten, und während wir in Port Said vor Anker lagen, blieb Violet Coomaraswamy in ihrer Kajüte und weinte.
    Am liebsten hätte ich ein Kartenspiel zwischen meiner Tante Flavia und meinem Kajütengenossen Mr. Hastie mit angesehen. Er war noch immer unglücklich wegen seiner Degradierung. Ihm fehlten die Hunde, und ihm fehlte die Freizeit zum Lesen. Ich wünschte mir ein Turnier zwischen diesen zwei verschiedenen Welten, und ich fragte mich, ob er in einem fairen Spiel die Violets vernichtend besiegen konnte – im Delilah-Salon oder um Mitternacht in unserer Kajüte oder vielleicht, besser noch, auf neutralem Grund, tief unten im Laderaum, an einem eigens aufgestellten Kartentisch und unter einer nackten Glühbirne.

Zwei Herzen
    DA MR. HASTIE SEINE STELLE als Oberaufseher über den Hundezwinger verloren hatte, fanden die nächtlichen Kartenspiele seltener statt als zuvor. Zum einen brachte Mr. Invernios Beförderung es mit sich, dass die zwei Freunde öfter in Streit gerieten. Und Mr. Hastie, der dazu abkommandiert war, im gleißenden Sonnenlicht die Farbe vom Schiffsrumpf abzukratzen, hatte nicht die gleiche Energie wie zuvor, als er nur auf die Hunde aufpassen musste und mystische Bücher las. Früher hatten die beiden zusammen am Zwinger gefrühstückt – meistens Whiskey und eine Art Porridge, den sie aus einem gespülten Fressnapf aßen. Inzwischen sahen sie sich kaum noch. Doch hin und wieder gab es spätnachts eine Bridgepartie, und ich sah den vier Spielern zu, bis ich einschlief, und wurde nur geweckt, wenn Mr. Babstock verlor, der dann laut wurde. Babstock und Tolroy kamen in ihrer Pause aus dem Telegraphenbüro und waren müde. Nur Invernio, der nun die bequemste Tätigkeit hatte, war lebhaft und klatschte bei jedem kleinen Triumph in die Hände. Er roch nach Dalmatinern und Terriern, und das irritierte Mr. Hastie jedesmal.
    Am Heck des Schiffs befand sich ein gelbes Licht. In besonders heißen Nächten schleppte mein Kabinengenosse seine Matratze dorthin und band sie an der Reling fest, um

Weitere Kostenlose Bücher