Katzentisch - Ondaatje, M: Katzentisch
und mit ihm sprach, für sie eintrat; sie wusste, dass er sich gut ausdrücken konnte – und das würde Rajiva vielleicht zu ihr zurückbringen.
Es war das erstemal, dass sie ihn um etwas bat.
Sie wusste, wo er Rajiva antreffen könne, sagte sie, in der Coax Bar. Sie selbst konnte und wollte nicht dorthin gehen. Rajiva wäre mit seinen Freunden zusammen, und sie würden sie wie Luft behandeln.
Und so machte Ramadhin sich auf die Suche nach dem Jungen, um ihn dazu zu überreden, zu Heather zurückzukehren. Er begab sich in einen Teil der Stadt, den er aus freien Stücken nie betreten hätte, und wanderte in seinem langen, schwarzen Wintermantel einher, ohne Schal, im englischen Wetter.
Er betritt die Coax Bar auf seiner ritterlichen Mission. Es ist laut – Musik, laute Gespräche, Rauch. Er geht hinein, ein untersetzter, asthmatischer Asiate, der nach einem anderen Asiaten sucht, denn Rajiva stammt auch aus dem Orient – zumindest trifft das auf seine Eltern zu. Doch eine spätere Generation ist viel selbstbewusster. Ramadhin sieht Rajiva unter seinen Freunden. Er tritt hinzu und versucht zu erklären, warum er gekommen ist, warum er mit ihm sprechen will. Es wird viel und laut geredet, als er Rajiva dazu zu bewegen versucht, ihn zu der Wohnung zu begleiten, in der Heather wartet. Rajiva lacht und wendet sich ab, und Ramadhin fasst ihn an der linken Schulter, und ein blankes Messer kommt zum Vorschein. Die Klinge berührt ihn nicht. Sie berührt nur den schwarzen Mantel oberhalb seines Herzens. Des Herzens, das Ramadhin ein Leben lang geschützt hat. Das Messer des Jungen übt nur einen ganz leisen Druck aus, nicht mehr, als wenn man einen Knopf drückt oder herauszieht. Aber Ramadhin steht da und zittert in der lauten Umgebung. Er bemüht sich, den Zigarettenrauch nicht einzuatmen. Der Junge Rajiva – wie alt mag er sein? Sechzehn? Siebzehn? – tritt näher, mit seinen dunklen braunen Augen, und steckt Ramadhin das Messer in die Tasche seines schwarzen Mantels. So intim, als hätte er es in seinen Körper gerammt.
»Das kannst du ihr geben«, sagt Rajiva. Eine gefährliche und zugleich förmliche Geste. Was hat sie zu bedeuten? Was will Rajiva damit sagen?
Ein ununterdrückbares Flattern von Ramadhins Herz. Lautes Gelächter, und der »Freund« des Mädchens wendet sich ab und geht mit seinen Freunden weiter. Ramadhin verlässt die Bar und tritt in die Nachtluft und macht sich auf den Weg zu Heathers Wohnung, um ihr von seinem Scheitern zu berichten. »Und außerdem«, will er dann hinzufügen, »taugt er nichts.« Auf einmal ist er müde. Er winkt ein Taxi herbei und steigt ein. Er wird ihr sagen … erklären … er wird nicht von dem schweren Gewicht sprechen, das er auf seinem Herzen lasten fühlt … Er hört nicht, dass der Fahrer vorne im Wagen mehrmals etwas fragt. Er hält den Kopf gebeugt.
Er bezahlt den Taxifahrer. Er drückt die Klingel ihrer Wohnung, wartet, wendet sich dann ab und geht. Er kommt an dem Garten vorbei, in dem sie bei sonnigem Wetter ab und zu den Unterricht abgehalten haben. Sein Herz rast noch immer, als könnte es nicht langsamer schlagen oder eine Pause einlegen. Er öffnet das Tor und geht in die grüne Dunkelheit.
Ich begegnete dem Mädchen Heather Cave. Es war wenige Jahre nach Ramadhins Tod, und in gewisser Weise war es der letzte Dienst, den ich Massi und ihren Eltern erwiesen habe. Das Mädchen lebte und arbeitete in Bromley, in unmittelbarer Nähe meiner früheren Schule. Ich traf mich mit ihr an ihrem Arbeitsplatz namens Tidy Hair und ging mit ihr zum Lunch. Ich hatte eine Geschichte erfinden müssen, um sie treffen zu können.
Zuerst sagte sie, sie könne sich kaum an ihn erinnern. Doch während wir uns unterhielten, erinnerte sie sich an überraschende Einzelheiten. Obwohl sie nicht mehr verraten wollte, als die offiziellen, wenn auch lückenhaften Angaben über seinen Tod besagten. Wir verbrachten eine Stunde miteinander und kehrten dann in unser jeweiliges Leben zurück. Sie war kein Teufel und auch kein dummes Mädchen. Ich nehme an, dass sie sich nicht so »entwickelt« hatte, wie Ramadhin es sich für sie gewünscht hätte, aber Heather Cave hatte sich in einem Leben eingerichtet, das sie sich ausgesucht hatte. Dieses Leben bestimmte sie, trotz ihrer Jugend. Und sie war vorsichtig und behutsam angesichts meiner Gefühle. Als ich den Namen meines Freundes zum erstenmal zur Sprache brachte, lenkte sie mich mit ihren Fragen geschickt ab und verleitete
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