Kau Dich gesund
dranzubleiben. Das Gefühl ist irre … unglaublich, es schmeckt immer besser und besser. Ich bin schon bei Kaubewegung Nr. 35 angelangt. Der Bissen ist fast total verflüssigt.
Und ich habe noch immer einen Teil davon im Mund und möchte ihn noch immer nicht hergeben, noch nicht schlucken, er schmeckt noch zu gut. Ein paar Mal schon schob er sich unauffällig über den hinteren Zungenrücken in Richtung Rachen. Der alte Schluckimpuls! Vier, fünf Mal habe ich den alten (viel zu frühen!) Schluckimpuls schon überlistet und habe nicht alles geschluckt, nur die ausgeschmeckten Anteile. Und ich schmecke weiter aus. Ich hab’s geschafft, ich weiß es, ich spüre es! Ich kaue nicht nur, sondern ich spiele mit dem Bissen wie ein Kind, knete ihn, liebkose ihn, ich drücke ihn rauf und runter. Inzwischen bin ich spielerisch bei fünfzig Kaubewegungen angelangt. Nur durchs Zählen war dies möglich!
Ich entdecke ein völlig neues Geschmackserlebnis in meinem Mund. Das muß jetzt die Aufspaltung, die Umwandlung der Speise sein, von der ich schon so oft gehört und gelesen, die ich aber noch nie in meinem Mund erlebt habe. Die Aufschließung der Nahrung, dieses Wunder der Natur, passiert jetzt in meinem Mund.
Die chemische Reaktion – wie es im Fachjargon so nüchtern heißt –, bei der sich der Speichel mit den Geschmacksstoffen der Nahrung so innig vermischt, daß es zum ganz großen Geschmackserlebnis kommt, hier in meinem Mund ist das Ereignis! Ein wahnsinniges Feeling! Ich bin glücklich. Die Natur hat durch meine Geduld, durch mein ausgiebiges, genußvolles Kauen das Kohlenhydrat, die Stärke des Stückchen Brotes verwandelt in einen wunderbaren, traubenzuckerähnlichen Geschmack. Ich genieße meine »Belohnung« noch lange im Mund, bis sie wie von selbst in den Magen gleitet.
Kein forcierter hastiger Schluckakt mehr. Essen ist plötzlich so harmonisch wie Einatmen. Das ist das Geheimnis von Gesundheit und Zufriedenheit.
Durchs Mitzählen habe ich alles unter Kontrolle. Durchs Mitzählen einer jeden Kaubewegung bleibt mein ganzes Sein, die Kraft meiner Gedanken, die Kraft meiner Konzentration in jedem Augenblick ungeteilt beim Bissen im Mund. Und es schmeckt immer besser und besser. Warum sollte ich also zu früh schlucken? Wenn ich zähle und mit meinem ganzen Bewußtsein im Mund bin, geschieht alles wie von selbst: Ich spüre, wie die Zunge instinktiv die richtige Bewegung macht, wenn der Bissen zu früh nach hinten rutschen möchte. Reflexartig bildet sie einen Bogen und befördert den noch nicht genügend gekauten Anteil des Bissens wieder nach vorn in die Genußhöhle, wo ich ihn weiter »bearbeite«, bis zur jeweiligen Schluckreife.
Von zehn bis fünfzehn Bissen Brot bin ich gesättigt. Ich kann es kaum glauben, gehe in mein Arbeitszimmer, schaue in den Spiegel und gehe wieder zurück in die Küche. Ich kann’s nicht glauben … der Hunger ist weg! Wo ist mein Heißhunger? Wo ist der Hungerschmerz, der nie nachließ im Bauch? Er ist weg! Ein Wunder ist geschehen. Nein, kein Wunder ist geschehen, ich habe nur richtig gekaut! Ich weine vor Glück, fasse wieder an den Oberbauch, taste alles ab, kneife mich in die frühere Schmerzstelle. Ob alles nur ein Traum ist? Nein, es ist wahr, es ist tatsächlich alles frei und entspannt im Oberbauch.
Welch eine Regenerationskraft in unserem Organismus steckt! Wie gütig die Natur ist, wenn man ihre Winke versteht! Mein Wunder ist gar kein Wunder. Es ist die naturgemäße Reaktion meines Körpers auf eine naturgemäße Aktion: Das richtige Kauen!
Ich wußte, ich war geheilt. So ist es bis heute geblieben. Und so wird es für immer bleiben, davon bin ich überzeugt. Die letzten neun Jahre haben mein Leben einschneidend verändert. Ungeheuerliches ist passiert, Neues, Kreatives hat sich entwickelt. Allein dieses Glückwürde ein Buch füllen … Seit jenem 20. Juli 1990 verstehe ich endlich den berühmten Ausspruch »Carpe diem«.
Täglich fühle ich mich wie neugeboren. Täglich offenbaren sich mir beim Essen reine Wunder an angenehmen Empfindungen.
Mein Appetit nahm völlig neue Neigungen an. Manchmal lasse ich ganze Mahlzeiten ausfallen, oder ich esse sogar den ganzen Tag freiwillig nichts, ohne dabei Hunger zu spüren. Denn mein Körper ist noch gesättigt durch die Mahlzeit davor.
Abb. 22: Sensationelles Resultat des richtigen Kauens: Man kann zu jeder Zeit und in jeder Stimmung essen, was und wieviel man will. Es ist alles erlaubt. Weg vom Verbot. Hin zur
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