Kauft Leute
Wäschestücke oder Decken zum Auslüften. Einer hatte einen Kanarienvogelkäfig mit Draht von innen am Gitter befestigt. Aus einem der offenen Fenster im zweiten Stock drang Musik aus einem Radio, es war ein ungarischer oder slowakischer Sender, der nicht richtig reinzubekommen war und krachte und kratzte. Irgendwo ganz oben hatte jemand die Fahne eines Fußballclubs die Fassade hinuntergelassen, und zwei Fenster weiter bemühte sich ein Bewohner, Blumen in Tetrapaks zu ziehen. Und im zweiten Stock, direkt über dem Eingang des Gebäudes, stand ein Mann im weißen Unterhemd am Fenster und starrte auf Caro hinunter. Er hatte schütteres grau-rötliches Haar, schmale Schultern und bewegte sich keinen Millimeter. Caro brauchte ein paar Sekunden, bis sie ihn erkannte: Es war der Kommodore. Er blickte zu ihr hinunter, winkte nicht, schien ihr auch nichts mitteilen zu wollen. Er war wie ein Kuckuck, der darauf wartete, dass die Uhr zwölf schlug.
Als Caro das Gebäude betrat, sah sie sich zuerst einem Wachmann gegenüber, der sie aufforderte, ihre Taschen vor ihm zu leeren. Als sie vier Mini-Deodorants aus ihrer Jackentasche bergen musste, lief sie rot an und sagte, dass es sich um Geschenke handelte. Der Wachmann erklärte, dass es nicht erlaubt sei, den Hausbewohnern Geschenke mitzubringen. Caro erwiderte, es seien bloß Geschenke für ihre Nichten, was der Wachmann mit einem knappen abschätzigen Blick quittierte.
Caro hatte tatsächlich zwei Nichten, denen sie allerdings nie etwas mitbringen würde, einfach weil sie sie überhaupt nie sah, wie sie auch ihre Schwester nie sah. Das letzte Mal, als sie sich getroffen hatten, war bei einer Werbegala, bei der Caro einen Preis für eine von ihr konzipierte Kampagne erhalten hatte, die – das wusste Caro sehr gut – vor allem aufgrund ihrer Nervigkeit und Überpräsenz in allen Medien so stark eingeschlagen hatte. Diese Werbung war keine geschickte Verführung, sondern eher eine brutale, nicht abreißen wollende Serie von Raubüberfällen gewesen, die die Menschen nur beenden zu können glaubten, indem sie kauften, was von ihnen verlangt wurde. Der Kunde war jedenfalls zufrieden, und die Konsumenten litten in hohem Maße am Stockholm-Syndrom, glaubten, alle Interessen des Kunden und der Werbeagentur vollinhaltlich zu teilen, und wählten die Spots zu den beliebtesten des Jahres. Caro hatte schon vorher gewusst, dass sie gewinnen würde, und ihre ganze Familie eingeladen. Ihre Mutter; die älteste Schwester, die Caro, ohne einen Hauch von Zärtlichkeit in der Stimme, immer Carolinchen nannte; und die mittlere Schwester, die Software-Architektin war, wirklich niemanden leiden konnte und immer nur von ihrem Erbe sprach, obwohl es da fast gar nichts gab. Den Vater, der ja nicht ihr Vater war, sondern bloß der ihrer Geschwister, hatte sie nicht eingeladen, er war Alkoholiker, aber nicht die Sorte, die man unter den Werbeleuten und Besuchern solcher Galas findet, sondern die eigentlich angenehmere, doch nicht kompatible mit der Szene, in der Caro verkehrte. Gekommen war schließlich nur die älteste Schwester in Begleitung ihres Mannes. Beide blickten voller Verachtung um sich, während sie Mini-Steaks vom Buffet in sich hineinschaufelten, und als Caro nach der Verleihung mit dem Preis, der aussah wie ein Teil, das von einem Satelliten abgebrochen und durchs Dach eines Wohnmobils in Arizona gekracht war, in der Hand bei ihnen erschien, gratulierten sie ihr nicht, nahmen nicht einmal zur Kenntnis, dass Carolinchen soeben ausgezeichnet worden war, sondern sprachen bloß von ihrer älteren Tochter und deren Erfolg beim
Kiddy Contest
, und dass ihre Version von
Girls just wanna have fun
wahrscheinlich auf einer CD erscheinen werde, die es bald überall auf Postämtern zu kaufen gäbe. Caros Freund Roman war nicht gekommen, weil er Veranstaltungen wie diese nicht mochte, er saß stattdessen mit Studienkollegen in einem Bierlokal und debattierte über ein Thema, zu dem er sich schon am Nachmittag auf der Website der bei Studenten beliebten linken Tageszeitung ausgelassen hatte und dafür zwölf grüne Striche des Zuspruchs erhalten hatte. Also schloss sich Caro wieder ihren Kollegen an, dem Artdirektor, der mit demselben Stück Schrott in der Hand herumstand, und der Kontakterin, aber echte Freude kam nicht auf. Einmal im Monat zeigten sie in ihrer Werbeagentur vor versammelter Belegschaft die miesesten Arbeiten, die ihre Kunden abgenommen hatten – eine
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