Kauft Leute
Augenpartie.
»Wie heißen Sie?«, fragte Caro.
Das Mädchen schüttelte den Kopf.
Caro sah hilfesuchend zu Dennis.
»Sie heißt
Mona
. Ich glaube, die anderen Bewohner haben sie so genannt,
Mädchen ohne Namen
.«
»Kann sie nicht sprechen?«, sagte Caro gedämpft zu Dennis.
Er zuckte mit den Schultern. »Vielleicht kann sie es nicht, oder sie will nicht. So wie sie aussieht, fällt es anscheinend nicht besonders ins Gewicht.«
»Aber sie muss doch einen Pass haben, in dem ihr richtiger Name steht!«
»Viele von den Illegalen vernichten ihre Papiere, bevor sie ins Land kommen, dann ist es schwieriger, sie auszuweisen. Vielleicht hat sie den Pass auch nur weggeworfen, weil sie keinen Platz in ihren Jeans dafür hatte …«
Caro strafte den Jungen mit einem bösen Blick aus verschmierten Augen.
»Ach ja, das soll ich Ihnen geben«, sagte Dennis und überreichte Caro einen gefalteten Zettel.
Sie öffnete ihn und las die Notiz, die in einer großzügigen Männerhandschrift geschrieben war: »Vielleicht finden Sie einen Draht zu ihr. Den Männern, die das Mädchen verpflichten, gelingt es nicht. Dr. Moffat«
»Was soll das?«, fragte Caro Dennis. Die Werbung hatte aus ihr zwar einen Menschen gemacht, der moralisch extrem flexibel agieren konnte, aber Zugang zu einer namen- und sprachlosen Frau zu finden, damit Männer mehr Vergnügen mit ihr haben konnten, war jenseits ihrer Möglichkeiten.
Als Dennis mit den Schultern zuckte, fasste ihn Caro am Ärmel und zog ihn mit sich vor die Tür hinaus. »Was soll ich mit ihr machen?«
Dennis grinste. »Genau: Bei wichtigen Dingen immer den Neunzehnjährigen fragen, der am Empfang sitzt …«
»Du kennst sie doch schon, oder?«
Dennis schnaufte. »Sie ist ein Bumerang. Drei Minuten im Schaufenster und sie wird gekauft, zwei Wochen später wird sie wieder zurückgebracht. Das war schon in München so und wiederholt sich jetzt hier.«
»Und was machen die Männer mit ihr, wenn sie gar nicht redet? Ok, ich ziehe die Frage zurück.«
Dennis lächelte, dann sagte er: »Wenn Sie rausfinden, wer sie ist und ob sie irgendwas kann, kriegt man sie ja vielleicht weg aus dem UHU-Haus.«
»Was ist das UHU-Haus?«
»HAUS 6. Besuchen Sie es mal vor Feierabend, dann wissen Sie, warum es so heißt.«
Zwanzig Minuten lang versuchte Caro, etwas aus Mona herauszubekommen. Diese hatte nichts gegen Augenkontakt, irgendwie schien sie Caro sogar zu mögen, aber sie sprach kein Wort und konnte oder wollte auch nicht lesen. Taub war sie jedenfalls nicht, sie reagierte mit Unruhe – wie Caro auch – auf Geräusche und Schritte am Gang.
Irgendwann rutschte Caro heraus: »Gott, sie ist ein
Kaspar-Hauser-Bunny
!«, worüber Dennis schrecklicherweise laut lachte.
Dann hatte sie die Idee, alle Putzfrauen im Haus vorführen zu lassen, ob vielleicht irgendeine von ihnen Monas Sprache sprach.
Dennis hatte einen besseren Einfall: Sie luden eine witzige Szene aus der Serie »How I Met Your Mother« in verschiedenen Sprachen als Internetvideo auf sein Handy und prüften, ob sie auf einen Clip reagierte. Als sie bei Zypriotisch angelangt waren, einigten sie sich darauf, dass Mona entweder keine lebende Sprache beherrschte oder einfach völlig humorlos war.
Schließlich musste Dennis Mona zurückbringen, um den nächsten Kandidaten fürs Interview abzuholen. Sie hatten nichts bei ihr erreicht, aber Caro war neugierig auf das Mädchen geworden. Es gab einen Grund, warum sie nicht sprach, und sie wollte ihn herausfinden.
Zwei weitere Hausbewohner lernte Caro an diesem Nachmittag noch kennen. Der Erste, jener, der nach Mona kam, versuchte ihr zweimal mit offener Hand raubvogelklauenartig ins Gesicht zu fassen, so als wollte er es abschrauben wie einen Deckel. Dennis musste ihn mithilfe eines zweiten Wachmanns wegführen. Die Frau nach ihm war grundsätzlich kooperativ, aber depressiv und nicht in der Lage, Caro einen Einblick in ihr Leben oder ihre Persönlichkeit zu geben. Ihr Gesicht hatte sich zu einem einzigen harten Knoten verkrampft, aus dem nichts drang, außer einem Wimmern hin und wieder.
Als es 16 Uhr war und Caro zu ihrem »Koordinationsmeeting« musste, war sie körperlich dermaßen erschöpft, dass sie für einige Minuten auf der Toilette einschlief. Erst Dennis’ Rufe von draußen weckten sie wieder auf. Als sie sich in aller Eile vor dem Spiegel herrichtete, fühlte sie sich immer noch träumend; der psychopathische Komiker, das Mädchen ohne Namen, die zitternde Frau mit dem
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