Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Kauft Leute

Kauft Leute

Titel: Kauft Leute Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jan Korssdorff
Vom Netzwerk:
verknoteten Gesicht und Dennis, von dem eine Dame abgebissen hatte, umschwirrten sie und ließen Caro zweifeln, dass sie alle Teil jener Realität waren, auf die sich die meisten einigen konnten.
    Als Caro ganz tief in ihrem Multiplayer-Online-Game versunken war, als der Handel mit Iridium floriert und ihr Raumtransporter keine Lichtminute mit leerem Frachtraum zurückgelegt hatte, war sie nicht oft vor die Tür gegangen. An einem Nachmittag aber meldete sich niemand bei dem Japaner, wo sie ihr Sushi bestellte. Es gab keine Alternative, sie liebte Sushi, sie
brauchte
es, und sie wollte es von keinem Lieferservice zugestellt bekommen, den sie nicht kannte. Als auch beim sechsten Anruf keiner abhob, schlüpfte sie in ihre schweren Timberland-Schuhe, zog den warmen Mantel an, griff nach Handschuhen und Haube und verließ die Wohnung. Sie stapfte durch ihr Stiegenhaus, das völlig übertrieben beheizt war, öffnete das Haustor und trat auf die Straße. Ein Kind in kurzen Hosen und T-Shirt flitzte auf Rollerblades an ihr vorbei. Die Sonne schien. Jugendliche spielten Fußball im Park. Es war Sommer, zweifellos. Sie war keine Idiotin, sie wusste, wer und wo sie war, aber offenbar war ihr entfallen,
wann
sie war. In dem Sternensystem, das Caro bereiste, war Winter (wie absurd: dieselbe Jahreszeit in einem ganzen Sternensystem!), und Caros rotgezopfter Avatar trug Overall und Moonboots. Ein verzeihlicher Fehler, den ihr jeder andere Abhängige sofort vergeben hätte – und Caro weigerte sich, daraus irgendwelche Rückschlüsse auf ihren Zustand zu ziehen. Sie nahm ihre Jacke unter den Arm und marschierte in der nachmittäglichen Augusthitze eine Viertelstunde durch die Stadt, bis sie vor dem Japaner stand, der sie immer belieferte und den sie schon besucht hatte, als sie noch soziale Integriertheit genoss. Der Japaner war geschlossen. Aber nicht erst seit gestern, sondern ganz offensichtlich seit Monaten! Was man vom Inneren des Lokals durch die schmutzigen Scheiben sehen konnte, war ein veritables Schlachtfeld. Obdachlose, wilde Katzen, verschiedene Wesen der Nacht mussten hier bereits genächtigt haben. Caro setzte sich auf ein Stück Mauer, das den Gastgarten des Lokals vom Gehsteig trennte, und sucht in ihrem erhitzen Kopf nach einer Antwort. Die Frage war natürlich: Warum hat mich bis gestern noch ein Japaner beliefert, der seit Monaten geschlossen hat? Zwei Antworten drängten sich vor und wollten zuerst berücksichtigt werden. Die Erste: Sie hatte überhaupt nie bei diesem Japaner bestellt, sondern immer bei einem anderen! Die Zweite: Ein anderer Japaner hatte die Telefonnummer und damit auch die Lieferkunden dieses Japaners übernommen! Beide Antworten klangen plausibel. Ganz in diese Gedanken versunken, stand Caro auf und warf erneut einen Blick ins Innere des Restaurants. Gerade in diesem Augenblick spiegelte die Scheibe jedoch stark und Caro sah sich selbst im Glas des Schaufensters des Japaners. Sie war groß und schlank und trug einen Overall und Moonboots, und ihr langer roter Zopf hing fast bis zu ihren Knien herab. Seltsam, dachte Caro. Dann erwachte sie in ihrem Bett und es war weder Sommer noch Winter. Es war April, ihre Wohnung stank nach Essensresten (ihr Geschirrspüler war vor Wochen kaputtgegangen), ihr Kopfpolster war klebrig und feucht und die Federn ganz klumpig, das Innere des japanischen Restaurants in ihrem Traum war nur eine Abbildung ihrer eigenen Wohnung, und ein Blick auf ihren Computer erinnerte sie an das wahre Drama dieses elenden Tages: Man hatte ihr das Internet abgedreht.
    Eine Woche später schon stand sie auf einem Feld im hintersten Mühlviertel und lugte vorsichtig hoffend in den Himmel, ob sich kein Sternengleiter der – zum Beispiel – Stufe 4 blicken ließ, um sie sanft an Bord zu teleportieren.
    Man konnte es Caro also nicht verdenken, dass sie, einem paranoiden Pfandleiher gleich, zweimal nachprüfte, bevor sie etwas als echt erklärte, und so musste sie auch noch mal gegen Dennis’ Bisswunde schnippen, und erst als er quiekte, fühlte sie sich einigermaßen sicher.

10
    A LS C ARO DEN K ONFERENZRAUM BETRAT , der sich in dem schönen Gebäude befand, wo auch ihr Büro mit Badezimmer auf sie wartete, sah sie sich sechs Personen gegenüber, die sie nie zuvor gesehen hatte, so wie auch sie Caro noch nie gesehen hatten. Fair war das Aufeinandertreffen dennoch nicht, denn die sechs Personen kannten
einander
natürlich sehr gut.
    Nach einer umständlichen Vorstellungsrunde

Weitere Kostenlose Bücher