Kauft Leute
starrten auf diesen gespenstisch langsam ablaufenden Unfall.
Irgendwann hatte das Luftschiff die Plane so weit hochgezogen, dass sie nirgends mehr den Boden oder die Tribüne berührte, und das Fluggerät navigierte weg vom großen Schloss in Richtung des »Lustheim« genannten Schlösschens, wo es seine Last wieder abladen sollte.
Zurück blieben eine demolierte Tribüne und ein großer Haufen verwirrter und derangierter Helden. Der Event-DJ spielte unbeeindruckt eine
Vangelis
-artige Hymne, während die Frauen und Männer auf der Tribüne ihre Haare und Kleider in Ordnung brachten, Schürfwunden in Augenschein nahmen und sich besorgt nach anderen Helden umsahen, die sie näher kannten.
Niemand schien wirklich verletzt zu sein, aber im Publikum sprang dennoch ein Gedanke von Gast zu Gast: »Wofür das alles? Wozu dieser gigantomanische Zeppelin? Warum auch dieses Schloss und diese Tribüne mit all den jungen Männern in teuren Maßanzügen und Frauen in Abendkleidern? WIR HABEN NICHT DANACH VERLANGT!«
20
Eine Stunde später saß Christian neben einer verstörend attraktiven Heldin auf einer Bank im Säulensaal des Schlosses und unterhielt sich mit ihr über das Debakel mit der Plane. Etwas an ihrem Gesicht faszinierte ihn, und er musste sich wirklich zurückhalten, ihr nicht mit der Hand über die Wangen zu streicheln. Außerdem war sie witzig, süß, Berlinerin. Gerade als er ihr erzählen wollte, dass er vielleicht noch heute freigekauft würde, leuchtete eine Zahl auf ihrer Armbanduhr auf, eine kleine Digitaluhr, wie jeder von ihnen sie hatte. Tisch 17 wollte sie kennenlernen. Sie hob den Rock des Ballkleids, das man ihr verpasst hatte, und trippelte in den Speisesaal. Christian setzte sofort wieder sein grimmigstes Gesicht auf, in der Hoffnung, potenzielle Interessenten abzuschrecken – es fiel ihm nicht schwer heute. Keine Minute war vergangen, da sah er die Berlinerin wieder, allerdings zwei Bänke rechts von ihm. Christian stand auf, machte die paar Schritte auf das Mädchen zu und fragte sie, wieso sie schon wieder da sei. Sie sah ihn ohne große Überraschung an und sagte, er meine eine andere. Von Berlinerisch keine Spur mehr. »Host du
die
g’mant?«, fragte das Mädchen mit österreichischem Akzent und zeigte auf eine, die er genauso wenig von der Berlinerin unterscheiden konnte.
Heinrich legte Christian die Hand auf die Schulter und flüsterte ihm zu: »Computerdesign, mein Lieber. Diese Frauen gibt es in Wirklichkeit gar nicht. Sie besitzen die Gesichtsproportionen von 14-jährigen Mädchen kombiniert mit hohen Wangenknochen und konkaven Wangen reifer Frauen. Ihre Gesichter wurden am Computer gemorpht und von Tausenden von Männern als am schönsten ausgewählt. Das sind Real-Life-Avatare. Bei den Jungs gibt es auch ein paar, aber die wären dir nicht aufgefallen …«
»Aber wie … machen sie sie?«
Heinrich genoss es, Christian aufzuklären. »Es ist eine ziemlich hoch entwickelte Form der Schönheits-OP. Natürlich ist nicht jede dafür geeignet. Kindchenschemata empfinden im Großen und Ganzen alle westlichen Männer als attraktiv: relativ weit unten liegende Gesichtsmerkmale, große runde Augen, kleine kurze Nase, zierlicher Unterkiefer. Kombiniert man diese mit ausgeprägten Wangenknochen und anderen ausgewählten Attributen einer reiferen Frau, ist das für heterosexuelle Männer die höchste Form der Attraktivität – auch wenn die Mischung dieser Merkmale in der Natur so gut wie gar nicht vorkommt.«
Heinrich sah sich unter den Heldinnen um, die wie Christian und er am Rand der Säulenhalle saßen und darauf warteten, dass sich bei einem der Gäste beim Durchblättern ihrer Profile auf den Tablet-Computern Interesse rührte und sie in den Speisesaal geordert wurden. Im Geiste zählte Heinrich die Mädchen, deren Aussehen künstlich optimiert worden war. »Sieben oder acht, würde ich sagen.«
Christian folgte seinen Blicken. »Sie sehen sich so ähnlich.«
Heinrich zuckte die Schultern. »Das mag jetzt ein Problem sein, aber gut verteilt auf Deutschland kann man mit dem Makel leben.«
»Aber Frauen sind doch schön genug, so wie sie auf die Welt kommen!«
»Aber du hast die Kleine aus Berlin angesehen, als wolltest du sie glasieren, auf einen Stab stecken und abschlecken!«
»Sie war süß. Sie hatte Charme!«, protestierte Christian.
»Bist du sicher? Denk noch mal nach!«, regte Heinrich an.
Christian ließ das kurze Gespräch zwischen dem Mädchen und ihm Revue
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