Kautschuk
wie sie in ängstliche Unruhe geriet, als habe sie eine solche Frage längst befürchtet. Je weiter er sprach, desto verstörter wurde sie und wandte sich schließlich ab, um die Tränen zu verbergen, die über ihr Gesicht rannen. Am Zucken ihrer Schultern merkte er ihre Erregung und legte den Arm um sie. »Was hast du, Johanna? Du weinst? Hab’ ich Dir weh getan?«
Sie schüttelte den Kopf und erwiderte dann stockend, mit bebender Stimme: »Was du da andeutest, hab’ ich ja schon immer mit Bangen erwartet. Ach, Walter – nun ist alles aus! Ein anderer hat Clemens’ Ohr gewonnen – hat sich nicht gescheut, sein ohnehin verdüstertes Gemüt durch böswillige Andeutungen mit Argwohn und Mißtrauen zu erfüllen.«
Fortuyn war blaß geworden. »Sicherlich Düsterloh, der erbärmliche Wicht!« knirschte er. »Und ich kann mich nicht wehren – mir sind die Hände gebunden ... Kann den Verleumder nicht zur Rechenschaft ziehn, mich vor Clemens nicht verteidigen! Kann ich’s überhaupt noch wagen, ihm ins Gesicht zu sehen? Muß ich nicht immer die stumme Frage aus seinen Augen lesen: Hast du mir deshalb das Leben gerettet, um mir mein Weib zu ...«
Da schrie Johanna laut auf, preßte ihm die Hand auf den Mund. »Nicht dies Wort, Walter! Du hast ihm nichts geraubt – ihm gehörte schon längst nichts mehr! Wer weiß, ob er mich nicht schon ganz verloren hätte, wenn du nicht gewesen wärst! Nur daß ich mich immer wieder auf dein Kommen freuen konnte – die einzige Freude in diesem freudlosen Leben – ließ mich hier ausharren. Wer darf über uns richten? Es war mein natürliches Recht, mich an dich zu klammern – in meiner Not ...« Jede Zurückhaltung war geschwunden. Ohne Scheu gab sie ihre Gefühle preis, ließ ihn in ihr Herz blicken. »Was willst du nun tun, Walter?« drängte sie ihn. »Unser Haus meiden – mich verlassen?« Ihre Finger umkrampften seine Arme, ihr Leib bebte wie im Fieber. Ein drohendes Leuchten in ihren unnatürlich großen Augen ...
Sanft löste er ihre Hände und strich ihr beruhigend über die heiße Stirn. »Dich verlassen? Niemals Johanna!« Er neigte seinen Mund zu ihrem Ohr. »Du mußt vernünftig sein – dich in die Lage fügen! So oft wie bisher kann ich nicht zu euch kommen. Um den Schein zu wahren, unliebsamen Fragen vorzubeugen, will ich hin und wieder Clemens auch weiter besuchen. Und du, Johanna, mußt stark und geduldig sein, wie unser Schicksal es fordert. Habe Vertrauen, Liebste! Alles wird noch gut!« Den Arm um ihre Schulter geschlungen, ging er zur Tür und drückte ihr fest die Hand. »Tapfer sein, Johanna!«
Kaum hatte sich die Tür hinter ihm geschlossen, da rief die Klingel des Kranken. Johanna eilte in ihr Zimmer und fuhr sich schnell mit einem feuchten Tuch über die Augen. »Lache, Bajazzo!« ging’s durch ihr Herz, während sie nach dem Krankenzimmer eilte. Als sie eintrat, lag wieder die Maske der ewig gleichmütigen, freundlichen Miene auf ihrem Antlitz.
»Was hattest du denn noch so lange mit Fortuyn zu reden?« kam es griesgrämig vom Krankenbett.
Sie fühlte das versteckte Lauern, das in der Frage lag. »Tapfer sein!« Die letzten Worte Fortuyns klangen in ihr, gaben ihr die Kraft, frei und natürlich zu antworten. »Wir sprachen von dem alljährlichen Sommerfest, das die Direktion veranstaltet.«
»Ihr suchtet wohl schon die schönste Toilette aus für dich?« sagte Clemens bissig.
Ohne auf seinen anzüglichen Ton einzugehen, erwiderte sie heiter: »Ach, leider ist Doktor Fortuyn in solchen Fragen wenig kompetent! Ich glaube, er kann mit einer Dame stundenlang Zusammensein und weiß nachher nicht, was sie für ein Kleid anhatte.«
»Na – jedenfalls brennst du doch darauf, das Fest mitzumachen?« Clemens war ärgerlich, weil sie auf seinen Ausfall hin so ruhig blieb.
»Vorläufig hab’ ich mich noch gar nicht entschlossen.« Ein gleichgültiges Achselzucken. »Du kannst ja Kampendonk fragen, dem ich antwortete, daß meine Teilnahme ungewiß sei.«
Clemens hielt die Augen geschlossen. Sie sah, wie es in seinem Gesicht arbeitete, wie er nach neuen, verletzenden Worten suchte. Beide hatten das Klingeln draußen überhört und merkten erst auf, als Düsterloh in der Tür erschien. Nach flüchtiger Begrüßung ließ Johanna ihn mit Clemens allein.
In ihrem Zimmer auf eine Couch hingestreckt lag sie, die eine Hand unterm Kopf, die andere auf das klopfende Herz gepreßt. Immer war nur der eine Gedanke in ihr: Was soll werden – wie soll das
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