Kautschuk
enden? Immer wieder dies Quälen, Sticheln – und jetzt auch noch Onkel Düsterloh da ... Ich kann mir schon denken, wie der Heuchler ihn mit seinen Anspielungen wieder aufputschen wird; und nachher, wenn er weg ist, bekomm’ ich’s zu fühlen.
Ihr Blick ging auf die Uhr. Schon über eine halbe Stunde vergangen ... Düsterloh noch bei Clemens? Oder ist er fort, ohne daß ich ihn gehört habe?
Da klopfte es. Das Mädchen fragte, ob Herr Direktor Düster-loh die gnädige Frau sprechen könnte. Johanna nickte.
Düsterloh trat ein. Das Programm, das er sich für heut zurechtgelegt hatte, war auf eine neue Melodie abgestimmt. Er nahm Platz, schlug mit der Faust auf den Tisch. In burschikosem Ton fing er an zu poltern: »Das kann so nicht weitergehn! Ich begreife nicht, wie du das überhaupt aushältst. Clemens war unerträglich heute. Ich gab mir alle Mühe, ihn auf andere Gedanken zu bringen, aber er ließ ja nicht locker ...« Düsterloh stockte. Johanna hatte ihm ihr Gesicht zugewandt und sah ihn voll an. Wie um sich größere Sicherheit zu geben, sprach er immer lauter. »Er ist verrückt! Einfach verrückt! Eine Marotte, von der er nicht loskommt! Ich hab’ mir den Mund fußlig geredet – konnte ihn aber nicht davon abbringen ...«
»Was meinst du denn, Onkel Franz?« sagte Johanna ganz gleichmütig.
»Ja – hat er sich denn dir gegenüber davon nichts merken lassen? Er hat was gegen Fortuyn. Bildet sich ein, der wäre dein Courmacher.«
»Ach, Onkel, du weißt ja, was Clemens sich alles einbildet! Ich bin’s nachgerade gewohnt, daß er Grillen fängt. Gewiß – er hat mir auch damit in den Ohren gelegen. Um ihn zu beruhigen, hab’ ich Fortuyn gebeten, seine Besuche einzuschränken. Gott, Onkel Franz, das ist ja nur eins von vielen. Wenn du wüßtest, was er alles aussinnt, um sich und andere zu quälen ...«
Düsterloh war aufgestanden und trat zu ihr heran. »Ich verstehe nicht, Johanna, wie du dies Leben ertragen kannst. Ich bin wirklich besorgt um dich. Früher oder später müssen doch deine Nerven versagen. Ja – aber wie soll man’s ändern?« Er schien zu überlegen. »Halt – jetzt habe ich’s. Ich nehme meinen Sommerurlaub schon jetzt, und wir machen zusammen eine Reise ...«
Johanna deutete nach dem Krankenzimmer. »Und was wird mit ihm?«
»Um Clemens brauchst du dich nicht zu sorgen! Ich werde
ihn schon dazu bringen, daß er seine Einwilligung gibt. Eine tüchtige Krankenschwester, als Ersatz für dich, ist bald gefunden. Vielleicht folgt er auch der Anregung, die ich ihm vorhin gab. Ich hab’ ihm von dem Professor Vocke in Angelfingen erzählt. Der Mann unterhält da ein Sanatorium für Lungenkranke und ist Spezialist für Gasvergiftungen. Clemens wehrte zwar ab, aber vielleicht nimmt er doch mit diesem Wunderdoktor Fühlung. Ob’s freilich noch hilft?« Er hob die Schultern. »Na – schaden kann’s auf keinen Fall! Jedenfalls mußt du so oder so mal aus der Misere hier raus!«
Das klang so offen und ehrlich, daß Johanna in Zweifel geriet. »Du willst sicher unser Bestes, Onkel Franz. Dein Vorschlag einer Reise ist gewiß gut gemeint. Aber du wirst doch wohl einsehen, daß es nicht geht.«
»Warum nicht? Meinst du etwa, ein zwar nicht mehr ganz junger, aber doch noch recht gut konservierter Junggeselle solo allein mit seiner jungen, schönen Nichte ... Du fürchtest ein Gerede? ... Pah! Darüber dürften wir beide doch erhaben sein!«
»Ich weiß nicht, Onkel, ob du da nicht zu sehr von deinem Junggesellenstandpunkt aus sprichst.« Sie wollte dem Gespräch eine andere Wendung geben und versuchte zunächst, auf seinen flotten Ton einzugehen. »Man würde uns sehr wahrscheinlich für ein Ehepaar halten. Du, wie du selbst sagtest, noch gut konserviert; dazu, wie ich erwarte, ein überaus galanter Kavalier. Die Klatschmäuler hier würden Tag und Nacht offenstehn!«
Düsterloh faßte ihre Heiterkeit falsch auf. Er haschte nach ihrer Hand, hielt sie fest. »Nun, Johanna, wie wär’s denn, wenn die Klatschmäuler früher oder später recht behielten?«
Johanna erschrak. Blitzschnell erkannte sie die Gefahr. »Nicht solche Scherze, Onkel!« stammelte sie verlegen.
»Scherze? Scheint es dir so unmöglich, meine Worte etwas ernsthafter aufzufassen?« sagte er in verändertem Ton.
Johanna machte ihre Hand gewaltsam los und trat einen Schritt zurück. »Onkel Franz – ich bitte dich! Du vergißt dich! Es ist nicht Tag und Stunde dafür. Denkst du nicht an Clemens?«
Düsterloh
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