Kautschuk
gaben endlosen Gesprächsstoff. Ein Herr, der es gewagt hätte, Johanna aus diesem Ring zu entführen, hätte mehr Heldenmut besitzen müssen als Siegfried, der Brünhilde aus der Waberlohe befreite. Nur einen flüchtigen Blick konnten sie bisweilen tauschen, der ihre innersten Gedanken aussprach. Dann mußten sie ihre Aufmerksamkeit wieder ihrer Umgebung widmen.
Die Unterhaltung Fortuyns mit dem Japaner kreiste jetzt um das naheliegende Thema der Verwertung von Atomkräften.
»Wenn Sie eines Tages die Voraussetzungen sicherer Isolation der Atomstromkabel schaffen, würde das eine Umwälzung in der Energieproduktion geben, die in der Weltwirtschaft, glaube ich, eine nicht unbedenkliche Erschütterung auslösen würde, Herr Doktor ...«
»Gewiß, Herr Oboro. Aber das ›Wann‹ steht vorläufig noch dahin.«
»Oh, wenn Sie das sagen, Herr Doktor – ja dann ...« Der Japaner stockte. Er schien etwas auf dem Herzen zu haben, für das er vorsichtig die richtigen Worte suchte. »Es scheint mir – vielleicht irre ich mich da – als hätte man in Deutschland noch nicht das volle Vertrauen auf den glücklichen Erfolg Ihrer Arbeiten. Ich darf Ihnen versichern, daß man bei uns zu Hause Ihrem Wirken mit der größten Teilnahme folgt. Vor meiner Abreise hatte ich Gelegenheit, mit unserem Kultusminister zu sprechen, der ziemlich offen zu erkennen gab, daß er jederzeit bereit wäre, Ihnen an der Universität Tokio einen Lehrstuhl anzubieten ... Sie fänden natürlich daneben Zeit, an Ihrem Verfahren weiterzuarbeiten, wozu man Ihnen Mittel in jeder Höhe zur Verfügung stellen würde.«
Bei den letzten Worten war das stete Lächeln, das wie eine undurchsichtige Maske auf dem Gesicht des Japaners lag, geschwunden. Mit offenem, ernstem Gesicht schaute er zu Fortuyn empor.
Der überlegte kurz, was er, um nicht zu viel zu sagen, antworten solle. Er verbeugte sich leicht. »Gewiß, mein Herr, Ihre Worte sind außerordentlich schmeichelhaft für mich. Doch irren Sie sich, wenn Sie vielleicht glauben, hier stünden mir nicht die nötigen Mittel zur Verfügung. Ein Abbruch meiner Arbeiten hier würde mich um viele Monate zurückwerfen. Ist es doch nicht allein mein Kopf, sind es doch auch die Leistungen meiner Mitarbeiter, die zu fruchtbarem Weiterschaffen gehören.«
»Auch darüber«, begann, vorsichtig die Worte wägend, der Japaner, »wäre vielleicht ...«
»Nun, Herr Oboro«, unterbrach ihn Lindner, »haben Sie sich gut unterhalten? Gleich wird der Tanz beginnen! Die jungen Herrschaften werden schon unruhig. Wie stellen Sie sich dazu? Werden Sie auch ...?«
»Aber gewiß, Herr Direktor! Wir sind bemüht, auch darin unseren westlichen Freunden nachzueifern.«
Fortuyn ließ die ersten Touren vorübergehen. Dann forderte er Johanna auf.
»Wie schade!« sagte diese und drückte seinen Arm leicht an sich. »Der halbe Abend ist schon herum, und wir haben noch kein Wort zusammen gesprochen. Und ich hatte mich doch so auf diesen Tag gefreut! Du mußt so oft mit mir tanzen, wie es irgend geht! Ich habe so vieles auf dem Herzen, was mich bedrängt. Warum bist du so lange nicht gekommen? Eine Ewigkeit, scheint es mir!«
Über Fortuyns Gesicht glitt ein Schatten. »Es wird mir mit jedem Male schwerer, euer Haus zu betreten«, sagte er mit gedrückter Stimme. »Clemens wird immer abweisender. Ich ertrage es nicht, mich diesen stummen Vorwürfen und Anklagen immer wieder auszusetzen.«
Die Musik setzte von neuem ein. Die Körper im Rhythmus des Tanzes aneinandergeschmiegt, überließen sie sich dem Genuß des Augenblicks. Und sooft ein neuer Tanz sie zusammenbrachte, vergaßen sie absichtlich all das Häßliche, Drohende und gaben sich ganz dem wunderbaren Gefühl hin, sich immer wieder in den Armen halten zu dürfen.
Wieder war ein Tanz zu Ende. Während Fortuyn Johanna zu ihrem Platz zurückgeleitete, trat ihnen Kampendonk in den Weg. »Freue mich sehr, meine liebe Frau Terlinden, Sie nach langer Zeit auch mal wieder in unserm Kreis zu sehen! Wie geht es Ihrem Gatten?«
»Danke vielmals, Herr Kampendonk! Sein Befinden wechselt, wie immer. Doch Clemens hat in der letzten Zeit neue Hoffnung geschöpft.« Sie wollte fortfahren: ›Onkel Düsterloh‹ – vermied aber den ominösen Namen und sagte: »Man hat ihn auf Doktor Vocke aufmerksam gemacht. Der hat in Angelfingen im Spessart ein Sanatorium für Lungenkranke, speziell für Leute mit Gasvergiftungen.«
»Doktor Vocke? Ja! Erinnere mich auch des Namens. Aber sollte Ihr
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