Kautschuk
wurde der Widerwille in ihren Mienen. Schließlich stand sie auf, warf Boffin einen entrüsteten Blick zu. »Nein, das tue ich nicht!«
Boffin hob beschwörend die Hände, ging ihr nach und führte sie zu ihrem Platz zurück. »Lassen Sie mich doch erst ausreden! Urteilen Sie nicht so schnell! Sie werden sehen: die Sache hat auch ihre großen Reize!« Wieder begann er in leisem Flüsterton auf sie einzureden, schloß mit den Worten: »Nun, hab’ ich nicht recht?«
Juliette schüttelte mit saurer Miene den Kopf und zeigte Boffin ihre wohlgepflegten Hände. »Haben Sie kein Mitleid damit, Herr Boffin?«
Statt zu antworten, ergriff er ihre Hände, bedeckte sie mit Küssen. »Mitleid mit diesen entzückenden Händen? Warum Mitleid? In Gold sollen Sie sie später waschen, diese Engelshände!«
Juliette machte sich lächelnd frei, gab Boffin einen Klaps auf die Backe. »Sie sind ein Tyrann, Boffin! Ein scheußlicher Tyrann! Aber es fällt mir gar nicht ein, ja zu sagen. Ich werde es machen wie Sie – verlange Bedenkzeit. Nach drei Tagen sag’ ich Ihnen dann: Wird gemacht! Oder: Wird nicht gemacht! – Am liebsten wär’ es mir jedenfalls, wenn Sie das Stück â la Meyer vorzögen. Für heute Schluß! Auf Wiedersehen, Herr Boffin!«
Als Franz Meyer nach Langenau zurückkam, sagte ihm sein Bruder, der Kantinier: »Höchste Zeit, daß du kommst! Bei Direktor Lindner heute abend ‘ne kleine Fete. Du sollst kellnerieren. Beeil’ dich! Mußt spätestens um sieben da sein! Beim Decken helfen, den Gästen die Sachen abnehmen. Fix, fix!«
»Na, paßt mir ganz gut«, sagte Franz Meyer lachend. »Berlin – teures Pflaster! Die Trinkgelder kommen mir gerade recht. Na, denn also los in die alte Kluft!«
Im Schmuck seines besten Fracks aus seinen früheren Kellnerzeiten empfing Meyer die ankommenden Gäste in der Garderobe. Zwei Herren des Werkes, die an der Tür gewartet hatten, bis eine Gruppe junger Damen sich ihrer diversen Pelze und Schals entledigt hatte, traten jetzt zu Meyer und gaben ihm ihre Hüte und Mäntel. Meyers scharfes Ohr hörte, wie sie dann ihr unterbrochenes Gespräch wieder aufnahmen.
»Mir ahnte schon immer so was«, sagte der eine im Flüsterton, »daß der alte Schürzenjäger mal an die Falsche gerät.« »Düsterloh ist doch sonst ein gerissener Kunde!«
»Ist er auch! Aber wenn er ein schönes Weib sieht, vergißt er alle Vorsicht. Vorläufig ist er jedenfalls suspendiert. Ob wir ihn jemals wiedersehn werden? Nach dieser Dublette glaub’ ich’s kaum!«
»Haben Sie eigentlich ‘ne Ahnung, wie das aufgekommen ist?«
»Keine Spur! Kampendonk sagt kein Wort. Wolff erst recht nicht. Daher laufen natürlich alle möglichen Gerüchte um. Alle kommen darauf raus, daß irgendwie ein geheimer Detektiv im Werk ist, den niemand kennt als Kampendonk; höchstens noch Wolff.«
»Offen gestanden, das scheint mir auch die einzige Möglichkeit. Denn wie sollte es sonst zu erklären sein, daß jetzt ein Agent nach dem anderen gekappt wird?«
Neue Gäste kamen. Während Meyer ihnen beim Ablegen der Garderobe behilflich war, ging ihm das, was er über den geheimen Detektiv gehört hatte, fortwährend im Kopf herum. Er fühlte eine gewisse Unbehaglichkeit; sein Frack kam ihm auf einmal sehr eng vor. Seine Gedanken schweiften nach allen Richtungen hin. Auch der Kurfürstendamm kam ihm in die Erinnerung und – der Bürodiener Wittebold. Er rechnete nach. Wie lange war der hier? Hm ... richtig: gleich darauf ging’s ja los, daß sie einen nach dem anderen schnappten! Jedenfalls hieß es, sich vor dem Kerl in acht nehmen.
Ein tückischer Zufall wollte es, daß Fortuyn und Johanna Terlinden an der Tafel so gesetzt waren, daß sie sich weder sehen, geschweige denn miteinander sprechen konnten. Eine gewisse Entschädigung bot Fortuyn die Unterhaltung mit seinem Nachbar, einem japanischen Geschäftsfreund des Werkes. Herr Oboro, ein liebenswürdiger, hochgebildeter Plauderer, verstand es, ihn in ein überaus fesselndes Gespräch über die neuesten Ergebnisse wirtschaftlicher Anwendung von Atomenergie zu verwickeln. Auch nach Aufhebung der Tafel suchte er immer wieder mit fernöstlicher Zähigkeit Fortuyns Gesellschaft.
Selbst wenn Fortuyn es auf Kosten der Höflichkeit versuchte hätte, sich ihm zu entziehen, wäre er Johanna doch nicht näher gekommen. Sie war von einer Gruppe älterer Damen ummauert. Rezepte gegen Krankheiten und für Torten, die ersten Zähne von Enkelkindern und viele andere Nichtigkeiten
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