Kay Scarpetta 16: Scarpetta
mich an Mark David Chapman, bevor er John Lennon umgebracht hat. Er trug einen Button, auf dem Lennons Name stand. Oder an Sirhan Sirhans angebliche Aussage, er werde berühmter werden, wenn er Bobby Kennedy tötete.«
»Der Wechsel der Schriftarten verläuft progressiv«, fuhr Lucy fort. »Mit jedem neuen Entwurf wird Terris Name größer, und die Herabwürdigung meiner Tante nimmt zu.«
»Diese Veränderung deutet darauf hin, dass Terris Gefühle für Kay sich in Feindseligkeit und Verachtung verwandelt haben. Ich sollte besser von den Gefühlen des Verfassers sprechen. Doch der Einfachheit halber nenne ich ihn weiter Terri. Es ist so ähnlich wie die Sache zwischen Kay und Marino«, überlegte Berger laut. »Erst hat er sie vergöttert. Dann wollte er sie vernichten.«
»So einfach ist das nicht. Und es lässt sich auch nicht miteinander vergleichen«, widersprach Lucy. »Marino hatte einen Grund, sich in meine Tante zu verlieben. Er kannte sie. Terri hingegen hatte nicht den geringsten Anlass, Gefühle für sie zu entwickeln. Es waren reine Wahnvorstellungen.«
»Lass uns noch einmal darüber reden, dass Terri eine Schwäche für Schriften hatte«, setzte Berger ihre Analyse fort.
Lucy hatte sich tatsächlich verändert. Sie war zugegebenermaßen immer noch temperamentvoll, aber nicht mehr so aufbrausend wie früher. Denn nach Bergers Auffassung hatte Lucy damals eine starke Neigung zu Gewalt gehabt, eine Charaktereigenschaft, die sie mit Besorgnis erfüllt hatte.
»Ich bin überzeugt, dass sie sich ausgezeichnet mit Schriften auskannte«, sagte Lucy. »Für ihre Fußnoten, die Bibliographie, die Kapitelüberschriften und das Inhaltsverzeichnis hat sie jeweils eine andere Schrift verwendet. Das tut fast niemand, wenn er eine Magisterarbeit schreibt. Vielleicht ändert die Person die Schriftgröße oder setzt Wörter kursiv, aber sie verkünstelt sich nicht mit den Schriftarten. Die am häufigsten verwendete Schrift ist die, die bereits im Textverarbeitungsprogramm installiert ist, wie Terri es benutzt hat. Der Großteil des Textes ist in Times New Roman gesetzt.«
»Beispiele«, meinte Berger und machte sich Notizen. »Welche Schriftarten hat sie wann und wo benutzt? Aus welchem Grund? Theorien?«
»Für die Fußnoten hat sie die Linotype Palatino genommen, die sowohl auf dem Computerbildschirm als auch auf dem Ausdruck sehr gut zu lesen ist. Die Bibliographie ist in Bookman Old Style gehalten. Auch gut lesbar. Bei den Kapitelüberschriften hat sie sich für MS Reference Sans Serif entschieden, die häufig für Überschriften verwendet wird. Ich wiederhole, dass es ungewöhnlich ist, insbesondere in einer akademischen Arbeit so viele verschiedene Schriften zu verwenden. Und das sagt mir, dass dieser Text für sie etwas sehr Persönliches war. Es ging ihr nicht nur um die Magisterarbeit.«
Berger musterte sie nachdenklich.
»Wie zum Teufel zauberst du nur dieses Wissen aus dem Ärmel?«, wunderte sie sich. »Schriftarten? Darauf habe ich noch nie geachtet. Ich könnte dir nicht einmal sagen, in welcher Schrift ich meine Einlassungen fürs Gericht schreibe.«
»Du nimmst dieselbe installierte Schrift wie Terri. Times New Roman, die ursprünglich für die Londoner Times entwickelt wurde. Es ist eine schmale Schrift, also platzsparend und dennoch gut lesbar. Ich habe Ausdrucke auf deinem Schreibtisch gesehen, als ich heute bei dir im Büro war. In der forensischen Computeranalyse kann sich die kleinste Kleinigkeit als wichtig entpuppen.«
»Wie hier zum Beispiel.«
»Eines kann ich dir mit Gewissheit sagen«, sprach Lucy weiter. »Für diese verschiedenen Schriftarten hat sie sich absichtlich entschieden, weil sie sie eigens auswählen musste. Ob sie sie als Symbole für ihre Gefühle sich selbst oder einer anderen Person gegenüber, zum Beispiel meiner Tante, gesehen hat? Keine Ahnung. Jedenfalls finde ich die ganze Angelegenheit krank, und sie war auf dem Weg, noch perverser zu werden. Falls Terri wirklich die Verfasserin ist und wenn sie noch am Leben wäre, würde ich sie als Gefahr für meine Tante betrachten. Vielleicht hätte sie sie irgendwann sogar körperlich angegriffen. Zumindest hat sie einen Menschen mit Dreck beworfen, den sie gar nicht kannte.« »Kay hätte beweisen müssen, dass das alles nicht wahr ist. Und wie hätte sie das zum Beispiel bei der Anekdote mit dem Kaffeebecher tun sollen? Was macht dich eigentlich so sicher, dass das nicht
Weitere Kostenlose Bücher