Kay Scarpetta 16: Scarpetta
Bemerkung, es mache ganz den Eindruck, als hätte jemand den Teppich gebürstet.
»Nachdem Ihr Kumpel Marino die Laptops gefunden hatte, bin ich noch einmal zur Wohnung gefahren, um sicherzugehen, dass nichts übersehen worden war«, sprach Morales weiter. »Inzwischen kannte ich die Autopsieergebnisse und hatte mit Lester gesprochen. Also habe ich mich nach einem Gleitmittel umgeschaut. Nichts.«
»Uns ist der Teppich in ihrem Arbeitszimmer aufgefallen«, meinte Scarpetta.
»Das kann ich mir denken«, antwortete er. »Meine Mama hat mir beigebracht, immer brav aufzuräumen, die Teppichfransen gerade zu rücken und mich pflichtbewusst und verantwortungsvoll zu benehmen. Apropos: Am besten tüte ich ein paar dieser Sachen ein. Habe ich Ihnen schon gesagt, dass ich mir einen Durchsuchungsbeschluss besorgt habe? Nur für den Fall, dass wir was Interessantes finden.«
Er fletschte beim Lächeln die Zähne und zwinkerte ihr zu.
Sie kehrten ins Schlafzimmer zu dem Heimtrainer und dem Zelt aus Alufolie zurück. Als Scarpetta einen Schrank öffnete, entdeckte sie auf einem Regal weitere ausgeschäumte Helme und ein paar Antennen. Sie sah verschiedene Kleidungsstücke, zum Großteil Freizeitkleidung, durch und fand in einigen Jackentaschen Plastikplatten, wieder Schutzschilder. Ihr fiel Oscars ängstliche Bemerkung im Krankenhaus ein, er habe gar kein Schutzschild bei sich.
Auf dem Boden des Wandschranks standen Winterstiefel und Schnürschuhe und Turnschuhe in einer kleinen Größe. Ein Flechtkorb enthielt Hanteln, Springseile, Gewichtsmanschetten und einen nicht aufgeblasenen Gymnastikball.
Scarpetta griff nach den Nikes. Sie wirkten abgetragen und nicht geeignet für einen sportlich aktiven Menschen, der vermutlich an Gelenk- und Fußbeschwerden litt.
»Sind das seine einzigen Turnschuhe?«, fragte sie Morales. »Ich hätte gedacht, dass er bessere hat. Außerdem mehrere Paare.«
»Ich vergesse immer, wie man Sie nennt«, sagte er. Er kam näher.
»Adlerauge«, fuhr er fort. »Unter anderem.«
Er stand so dicht bei ihr, dass sie blassrosa Sommersprossen auf seiner hellbraunen Haut sehen und sein aufdringliches Herrenparfüm riechen konnte.
»Er trägt Brooks Ariels, eigens gemacht für Leute, die leicht umknicken und deshalb mehr Unterstützung brauchen«, bemerkte er. »Irgendwie komisch.«
Er wies auf das Schlafzimmer.
»Ich denke, Ihr Fan Oscar hat alle Unterstützung nötig, die er kriegen kann«, sagte er. »Das Modell eignet sich besonders für Menschen, die Plattfüße haben, denn sie sind breit geschnitten und weisen ein unverkennbares Profil auf. Ich habe das Paar, das er gestern anhatte, ins Labor gebracht. Ebenso wie seine Kleidung.«
»Was trug er denn dann, als er vorhin das Bellevue verlassen hat?«
»Wieder so eine Adleraugen-Frage.«
Ganz gleich, wie oft sie auch von ihm wegrückte, er folgte ihr weiter, bis sie fast im Schrank stand. Nachdem sie die Nikes weggestellt hatte, schob sie sich an ihm vorbei.
»Als ich ihn gestern in der Klapsmühle abgeliefert habe«, erklärte Morales, »habe ich eine kleine Abmachung mit ihm getroffen. Ich habe ihm versprochen, zuerst bei seiner Wohnung vorbeizufahren, damit er Ersatzkleidung einpacken kann, wenn er mir seine Sachen überlässt. Dann könnte er jederzeit wieder gehen.«
»Offenbar haben Sie nicht damit gerechnet, dass er lange bleiben würde.«
»Genau. Ein Daueraufenthalt war nicht geplant, denn schließlich wollte er nur hin, um Benton und vor allem Sie zu sehen. Nachdem sein Traum in Erfüllung gegangen war, hat er die Biege gemacht.«
»War er gestern Abend allein in der Wohnung, um seine Sachen zu holen?«
»Da kein Haftbefehl gegen ihn vorlag, konnte er tun und lassen, was ihm gefiel. Ich habe im Auto gewartet, während er reingegangen ist. Er hat etwa zehn Minuten gebraucht. Allerhöchstens. Vielleicht lag sein kleiner Bindfaden deshalb auf dem Boden, weil er vor lauter Aufregung vergessen hat, ihn wieder oben an der Tür anzubringen.«
»Wissen wir, was in seiner Reisetasche war?«
»Eine Jeans, ein marineblaues T-Shirt, noch ein Paar Joggingschuhe von Brooks, Socken, Unterhose und eine Wolljacke mit Reißverschluss. Auf der Station wurde eine Liste angelegt. Jeb hat die Tasche durchsucht. Sie haben Jeb ja kennengelernt.«
Schweigend standen sie vor dem Zelt aus Alufolie und sahen sich an.
»Der Wachmann, der heute Nachmittag vor Ihrer Tür gestanden und auf Sie
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