Kay Scarpetta 16: Scarpetta
Minute zu Minute wütender.
Lucy versuchte, sich zu erinnern, wann sie ihre Tante zum letzten Mal so zornig erlebt hatte - insbesondere in Gegenwart anderer. Es passte so gar nicht zu ihr.
»Wann wird Dr. Lester voraussichtlich mit der Obduktion von Eva Peebles anfangen? Das heißt, dass sie sich tatsächlich an die Arbeit macht, nicht, welchen Zeitpunkt sie dafür vorschlägt. Ich habe nämlich nicht vor, stundenlang sinnlos in der Gerichtsmedizin herumzusitzen, und kann leider ohne sie nicht weiterermitteln. Es ist ein Jammer, dass sie dafür zuständig ist.«
Scarpetta sah Morales an. Er hatte Dr. Lester vom Tatort aus angerufen.
»Darauf habe ich keinen Einfluss«, erwiderte Berger. »Ich könnte mit dem Chief Medical Examiner sprechen, doch das ist keine gute Idee. Ich hoffe, du hast Verständnis dafür. Er findet ohnehin schon, dass ich mich zu viel einmische.«
»Das liegt daran, dass Sie es tun«, meinte Morales. »Jaime, die überall ihre Nase hineinsteckt. So redet man wenigstens über Sie.«
Berger stand auf, ohne ihn einer Antwort zu würdigen, und sah auf ihre sündteure Uhr.
»Sie hat von sieben Uhr gesprochen, richtig?«, fragte sie Morales.
»Ja, das hat Lester gesagt.«
»Wenn Sie sich so gut mit ihr verstehen, könnten Sie vielleicht herausfinden, ob sie tatsächlich um sieben anfangen will. Schließlich möchte Kay nach einer durchgearbeiteten Nacht nicht mit dem Taxi hinfahren und dann dort herumsitzen.«
»Wissen Sie, was?«, wandte sich Morales an Scarpetta. »Ich fahre zu ihr und hole sie ab. Was halten Sie davon? Und wenn wir unterwegs sind, rufe ich Sie an. Ich könnte Sie auch abholen.«
»Ihre beste Idee seit langem«, meinte Berger zu ihm. »Danke, doch ich bin lieber unabhängig. Aber rufen Sie mich bitte an«, erwiderte Scarpetta.
Als Berger, die Scarpetta und Benton zur Tür begleitet hatte, zurückkehrte, schlug Marino vor, neuen Kaffee zu kochen. Lucy folgte Berger in die geräumige, mit Edelstahl, wurmstichigem Kastanienholz und Granit ausgestattete Küche und beschloss, dass sie jetzt reinen Tisch machen musste. Bergers Antwort würde bestimmen, wie es mit ihnen weitergehen würde.
»Musst du auch los?« Bergers Tonfall war vertraulich, als sie Lucy in die Augen blickte und eine Tüte Kaffee öffnete. »Die Whiskys in deiner Hausbar«, begann Lucy, spülte die Kaffeekanne aus und füllte sie mit Wasser. »Welche Whiskys?« »Du weißt genau, welche ich meine«, entgegnete Lucy. Berger nahm ihr die Kanne ab und goss das Wasser in die Kaffeemaschine.
»Nein, das tue ich nicht«, erwiderte sie. »Soll das heißen, du hättest gern ein Schlückchen, damit dir nicht die Augen zufallen?«
»Das ist kein Scherz, Jaime.«
Berger schaltete die Kaffeemaschine an und lehnte sich an die Arbeitsfläche. Sie schien wirklich nicht zu verstehen, was Lucy von ihr wollte, aber Lucy glaubte ihr nicht.
Sie erwähnte den irischen Whiskey und den Scotch in Bergers Hausbar.
»Die Flaschen stehen im obersten Regal hinter einer Glasscheibe in deiner verdammten Hausbar«, fügte sie hinzu. »Man kann sie nicht übersehen.«
»Greg«, antwortete Berger. »Er sammelt sie. Und ich habe sie wirklich übersehen.«
»Er sammelt sie? Ich wusste gar nicht, dass er weiterhin hier wohnt«, gab Lucy zurück. Noch nie im Leben hatte sie sich so elend gefühlt.
»Ich wollte damit sagen, dass sie ihm gehören«, erklärte Berger ruhig wie immer. »Wenn du die Schränke aufmachst, wirst du ein Vermögen in Form von Single Malt in limitierter Auflage finden. Ich habe nicht darauf geachtet und auch nicht daran gedacht, weil ich seine kostbaren Whiskys nicht trinke. Das habe ich noch nie getan.«
»Wirklich? «, hakte Lucy nach. »Warum weiß Morales dann, dass du sie hast?«
»Das ist erstens eine alberne Unterstellung und zweitens nicht der richtige Ort und Zeitpunkt«, erwiderte Berger leise. »Bitte hör auf damit.«
»Er hat die Flaschen angeschaut, als verrieten sie ihm etwas. War er schon einmal in dieser Wohnung?«, fragte Lucy. »Vielleicht ist die Sache mit der Tavern on the Green doch nicht nur leeres Gerede.«
»Darauf muss ich nicht antworten, und ich werde es auch nicht. Außerdem kann ich nicht«, meinte Berger, ohne die Stimme zu erheben und in fast sanftem Ton. »Wärst du bitte so gut zu fragen, wer einen Kaffee will und Milch und Zucker braucht?«
Lucy marschierte aus der Küche, allerdings ohne die Anweisung
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