Kay Scarpetta 16: Scarpetta
erklären. Ebenso wie den DNA-Mix, falls wir es mit einer von mehreren Menschen benutzten Dose Salbe zu tun haben. Möglicherweise in einer Arztpraxis? Einer Hautarztpraxis?«
»Zur Herkunft kann ich nichts sagen«, erwiderte Dr. Kiselstein.
»War sonst noch etwas Interessantes an dem Stuhl?«
»Der Rahmen besteht aus Eisen, die Lackierung enthält Spuren von Goldelementen. Als wir ihn in die Kammer gestellt haben, hat niemand darauf gesessen.«
Als Scarpetta Dr. Elizabeth Stuarts verschiedene Nummern anrief, erreichte sie immer nur die Mailbox. Sie hinterließ keine Nachricht und blieb nachdenklich auf dem Sofa sitzen.
Sie hatte geglaubt, das Thema Marino für sich abgehakt zu haben, doch als sie beschloss, ihn anzurufen, wurde ihr klar, dass sie seine Telefonnummer gar nicht hatte. Also wählte sie Bergers Nummer. An ihrem Tonfall glaubte sie zu erkennen, dass die Staatsanwältin mit einem anderen, und zwar einem persönlichen, Anruf gerechnet hatte.
»Ich bin es, Kay.«
»Oh«, entgegnete Berger. »Es hieß unbekannter Anrufer, also war ich nicht sicher.«
Wenn Lucy anrief, unterdrückte sie immer ihre Rufnummer. Scarpetta hatte den Eindruck, dass zwischen den bei den etwas Unschönes lief. Lucy war bei der Besprechung ungewöhnlich still gewesen. Scarpetta hatte nicht versucht, sie zu erreichen, in der Annahme, dass sie noch bei Berger war. Vielleicht ja doch nicht.
»Morales hat sich vor ein paar Minuten bei mir gemeldet und gesagt, dass er bei dir nur die Mailbox erreicht«, fuhr Berger fort.
»Ich habe mit Y-12 telefoniert. Ich kann jetzt noch nicht in die Gerichtsmedizin fahren.«
Sie fasste die Ergebnisse kurz für Berger zusammen. »Dann hätten wir ja eine Gemeinsamkeit«, stellte Berger fest. »Die Hautärztin. Terri war ihre Patientin. Und deinen Worten nach gilt oder galt das auch für Oscar.«
Scarpetta hatte das bei der Sitzung vorhin erwähnt, da sie ja nicht mehr an die ärztliche Schweigepflicht gebunden war. Es wäre nicht richtig gewesen, diese Information für sich zu behalten, auch wenn sie sich nicht recht wohl dabei fühlte. Dass sich die Rechtslage geändert hatte, bedeutete nicht automatisch einen Wandel ihrer Einstellung. Als Oscar mit ihr gesprochen und geweint hatte, hatte er nicht damit gerechnet, dass sie ihn eines Tages verraten würde, ganz gleich, wie oft sie ihn auch gewarnt und ihm empfohlen hatte, sich einen guten Anwalt zu nehmen.
Scarpetta war hin und her gerissen. Sie war zornig und ärgerte sich, weil sie eigentlich den Anspruch an sich hatte, eine Vertrauensperson für ihn zu sein. Gleichzeitig hatte sie eine Riesenwut auf ihn, weil er sie mit gerade diesem Vertrauen in eine unangenehme Lage gebracht hatte.
»Ich wollte Marino die Ergebnisse von Y-12 mitteilen«, meinte sie nun zu Berger. »Aber ich weiß nicht, wie ich ihn erreichen soll.«
Berger diktierte ihr zwei Nummern. »Hast du von Lucy gehört?«, fragte sie.
»Ich dachte, sie wäre bei dir«, antwortete Scarpetta.
»Alle sind vor etwa einer halben Stunde gegangen. Sie ist ein paar Minuten nach Benton und dir weg, und ich dachte, sie hätte sich vielleicht bei dir gemeldet. Sie und Morales kommen nicht gut miteinander zurecht.«
»Er ist eben nicht ihr Typ.«
»Das liegt daran, dass sie eine Reihe von Dingen nicht versteht«, erwiderte Berger nach einer Pause.
Scarpetta schwieg.
»Wenn wir älter werden, gibt es keine absoluten Werte mehr«, fuhr Berger fort. »Die gab es eigentlich nie.« Scarpetta hatte nicht vor, ihr eine goldene Brücke zu bauen. »Wenn du nicht darüber reden willst, auch in Ordnung.« Bergers Stimme klang zwar noch ruhig, doch der Unterton hatte sich verändert.
Scarpetta schloss die Augen und fuhr sich mit den Fingern durchs Haar. Sie fühlte sich ohnmächtig, weil sie keinen Einfluss auf die Ereignisse hatte. Allerdings wäre es albern und falsch gewesen, sich einzumischen.
»Vielleicht könntest du mir einen Gefallen tun, Lucy anrufen und ihr erzählen, was man bei Y-12 herausgefunden hat«, sagte sie. »Wenn du mir das abnimmst, versuche ich unterdessen, Marino zu erreichen. Und da du sie dann ohnehin an der Strippe hast, rate ich dir, zur Abwechslung mal deine Taktik zu ändern. Sei ganz offen und ehrlich mit ihr, selbst wenn du befürchtest, dass sie sich aufregen und die Information gegen dich verwenden könnte. Schenk ihr einfach reinen Wein ein, auch auf das Risiko hin, dass du den Prozess verlierst. Das ist für
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