Kay Scarpetta 16: Scarpetta
geglaubt, dass ich damit Terris Leben aufs Spiel setze. Ich hatte keine Ahnung, dass ihr dann auch Gefahr droht.«
Als er sich mit den Handrücken die Tränen abwischte, klirrten seine Ketten.
»Und wie haben Sie Jaime Berger gewarnt? Oder versucht, sie zu warnen?«
»Ich habe die Staatsanwaltschaft angerufen. Das wird Berger Ihnen sicher selbst erzählen. Sie soll Ihnen ruhig sagen, was für ein eiskalter Mensch sie ist und dass ihr die ganze Welt den Buckel runterrutschen kann. Das alles interessiert sie doch gar nicht.« Tränen liefen ihm übers Gesicht. »Und jetzt ist Terri tot. Ich ahnte, dass etwas Schreckliches geschehen würde, aber nicht, dass sie das Opfer sein sollte. Jetzt fragen Sie sich bestimmt nach dem Grund. Nun, ich habe keine Ahnung. Vielleicht hassen diese Leute ja kleinwüchsige Menschen und wollen uns ausrotten, so wie es damals die Nazis mit den Juden, den Homosexuellen, den Zigeunern, den Behinderten und den Geisteskranken gemacht haben. Wer Hitlers Herrenrasse nicht in den Kram passte, endete in den Verbrennungsöfen. Irgendwie ist es ihnen gelungen, mir die Identität und die Gedanken zu stehlen, und jetzt wissen sie alles über mich. Ich habe es Berger gemeldet, aber sie wollte nichts davon hören. Als ich Gedankengerechtigkeit gefordert habe, hat sie sich sogar geweigert, das Gespräch anzunehmen.«
»Erklären Sie mir, was Gedankengerechtigkeit ist.«
»Wenn einem die Gedanken gestohlen werden, ist es nur recht und billig, dass man sie wieder zurückbekommt. Es ist Bergers Schuld. Sie hätte es verhindern können. Aber ich habe meine Gedanken noch immer nicht zurück. Außerdem habe ich Terri verloren. Jetzt habe ich nur noch Sie. Bitte helfen Sie mir.«
Scarpetta steckte die behandschuhten Hände in die Taschen ihres Laborkittels und konnte sich des Gefühls nicht erwehren, dass sie immer tiefer in ein Problem hineingezogen wurde. Sie wollte nicht Oscar Banes behandelnde Ärztin werden und hätte ihm am besten sofort mitteilen sollen, dass sie den Kontakt mit ihm abbrechen würde. Dann hätte sie nur noch die beigelackierte Stahltür öffnen und gehen müssen, ohne sich noch einmal umzuschauen.
»Sie haben sie getötet. Ich weiß es genau«, beharrte Oscar. »Und wer sind sie?«
»Keine Ahnung. Jedenfalls verfolgen sie mich. Irgendeine Gruppe, die für eine bestimmte Sache kämpft. Ich bin ihr Ziel. Das geht schon seit einigen Monaten so. Wie kann sie tot sein? Vielleicht bin ich wirklich eine Gefahr für mich selbst und möchte sterben.«
Er brach in Tränen aus.
»Ich habe sie mehr geliebt als jeden anderen Menschen in meinem ganzen Leben. Immer noch hoffe ich, dass ich jeden Moment aufwache und es nicht wahr ist. Es kann nicht wahr sein. Ich bin nicht wirklich hier. Ich hasse Jaime Berger. Möglicherweise bringen sie ja auch jemanden um, den Berger liebt. Dann wird sie merken, wie das ist. Sie wird dieselbe Hölle durchleben. Hoffentlich passiert es. Ich hoffe, dass jemand den Menschen umbringt, den sie am allermeisten liebt.«
»Würden Sie das gern selbst erledigen?«, fragte Scarpetta. Sie drückte ihm einige Papiertaschentücher in die gefesselten Hände. Tränen flossen seine Wangen hinunter, und seine Nase lief.
»Ich weiß nicht, wer sie sind«, sagte er. »Wenn ich draußen frei herumlaufe, werden sie mich wieder verfolgen. Ihnen ist bekannt, wo ich in dieser Minute bin, und sie wollen mich durch Angst und Schrecken unter ihrer Knute halten.«
»Und wie genau tun sie das? Haben Sie Grund zu der Annahme, dass Ihnen jemand nachstellt?«
»Durch moderne Elektronik. Im Internet kann man unzählige gesetzlich zugelassene Geräte bestellen. Mikrowellengesteuerte Apparate, die Stimmen direkt in den Schädel übertragen. Störgeräusche. Radarstrahlen, die Wände durchdringen. Ich habe allen Grund zu glauben, dass ich als Versuchskaninchen in Sachen Gedankenkontrolle herhalten soll. Und wenn Sie daran zweifeln, dass so etwas möglich ist, erinnern Sie sich nur an die Strahlungsexperimente mit Menschen, die die Regierung nach dem Zweiten Weltkrieg durchgeführt hat. Man hat den Leuten im Rahmen eines Forschungsprojekts zum Thema Atomkrieg heimlich radioaktive Substanzen verabreicht und ihnen Plutonium gespritzt. Das habe ich nicht erfunden.«
»Ich kenne diese Strahlungsexperimente«, erwiderte Scarpetta. »Ich habe darüber gelesen.«
»Ich habe keine Ahnung, was sie von mir wollen«, fuhr er fort. »Es ist nur Bergers Schuld. Das
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