Kay Scarpetta 16: Scarpetta
Öffentlichkeit einrichten müssen. Die Leute wussten nichts. Nun sind sie im Bilde und werden Fragen stellen. Auch wegen dieses ... « - er las noch ein paar Zeilen - » ... anderen Mists. Klosterschule. Schwester Polly. Die Geschichte kenne ich noch nicht.«
Scarpetta überflog rasch den Text. »Es gibt keine Schwester Polly«, erwiderte sie. »Und der hier geschilderte Vorfall hat sich nie so abgespielt. Es war eine andere Nonne, und es fand eindeutig keine Sado-Maso-Szene im Badezimmer statt.«
»Sind auch Fakten dabei?«
»Ja. Miami. Das Stipendium. Die Klosterschule. Und die langjährige und schließlich tödliche Krankheit meines Vaters.« »Ich versuche herauszufinden, was stimmt und wer darüber im Bilde sein könnte. Wie viel davon allgemein bekannt ist.«
»Inzwischen offenbar alles. Nein, nichts davon, ganz gleich, ob wahr oder erlogen, war davor allgemein bekannt. Keine Ahnung, woher die Informationen stammen.«
»Die Lügen interessieren mich weniger«, antwortete er. »Sondern die Wahrheiten, die nun im Internet zu lesen sind. Gibt es eine öffentlich zugängliche Quelle, aus der dieser Schreiberling seinen Stoff bezieht? Denn wenn ich dich richtig verstehe und sich das nicht so verhält, leitet jemand in deinem näheren Umfeld die Informationen an den Schmierfinken weiter.«
»Marino«, erwiderte sie zögernd. »Er weiß mehr über mich als die meisten.«
»Insbesondere, was die Sache in Charleston angeht. Allerdings kann ich mir nicht vorstellen, dass er das Wort benutzt hätte.« »Welches Wort, Benton?« Er antwortete nicht.
»Du schaffst es nicht einmal, es auszusprechen. Das Wort heißt Vergewaltigung. Auch wenn es gar nicht passiert ist.« »Woher soll ich das wissen?«, entgegnete er leise. »Das genau ist ja mein Problem. Ich bin auf das angewiesen, was du preisgeben willst.«
»Würdest du dich besser fühlen, wenn du zugeschaut hättest? «
»Herrgott!«
»Offenbar musst du jede Einzelheit kennen, um einen Schlussstrich ziehen zu können«, fuhr Scarpetta fort. »Und dabei bist du derjenige, der ständig predigt, dass das Ziehen eines Schlussstriches gar nicht möglich ist, übrigens eine Ansicht, die ich teile. Und nun haben dieser Schreiberling und die Person, die ihm die Informationen zuspielt, gewonnen. Und warum? Weil wir hier sitzen, uns streiten, einander misstrauen und uns immer mehr entfremden. In Wahrheit weißt du vermutlich mehr über die Angelegenheit als Marino, denn ich bezweifle, dass er sich noch sehr gut an sein Verhalten in der fraglichen Nacht erinnert. Hoffentlich, für ihn ist es bestimmt besser so.«
»Ich will nicht, dass wir uns voneinander entfernen, Kay.
Keine Ahnung, warum mich die Sache mehr quält als dich.«
»Doch, das weißt du ganz genau, Benton. Du fühlst dich noch ohnmächtiger als ich, weil du ihn nicht aufhalten konntest, während ich es geschafft habe, wenigstens einen Teil davon zu verhindern, nämlich, dass es zum Schlimmsten kam.«
Benton tat, als läse er die beiden Kolumnen noch einmal. In Wirklichkeit brauchte er nur Zeit, um sich wieder zu fassen.
»Was könnte er über den Zwischenfall in Florida wissen?«, fragte er. »Was hast du ihm über deine Kindheit erzählt? Oder - lass es mich anders ausdrücken - über den Teil, der wahr ist?« Er wies auf den Bildschirm. »Könnte er den von dir haben?«
»Marino kennt mich seit fast zwanzig Jahren und ist auch meiner Schwester und meiner Mutter begegnet. Natürlich hat er so auch etwas über mein Leben erfahren. Ich habe vergessen, was ich ihm alles gesagt habe, aber es ist in meinem Freundeskreis kein Geheimnis, dass ich in einem nicht sehr guten Viertel von Miami aufgewachsen bin, dass wir kein Geld hatten und dass mein Vater viele Jahre lang an Krebs litt und schließlich daran starb. Und dass ich eine ziemlich gute Schülerin war.« »Das Mädchen, das deine Bleistifte zerbrochen hat?« »Das ist ja albern.«
»Ich verstehe das als ja.«
»Da war wirklich ein Mädchen, das solche Sachen getan hat. Die Klassentyrannin. Ihren Namen habe ich vergessen.« »Hat eine Nonne dich geohrfeigt?«
»Weil ich das Mädchen zur Rede gestellt habe, worauf sie mich verpetzt hat, nicht umgekehrt. Dafür hat eine der Schwestern mich bestraft. Mehr nicht. Die pikante Szene im Badezimmer hat es nie gegeben. Ich finde dieses Gespräch absurd.«
»Ich habe geglaubt, alle Ereignisse in deinem Leben zu kennen, und es gefällt mir gar nicht, derartige Dinge im
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