Kay Susan
getreten, etwas zu besitzen.
Zu besitzen und festzuhalten.
In dieser Nacht erkannte ich, daß ich die Außenwelt endgültig aufgegeben hatte.
Nur ein einziges kleines Problem störte meine großartige Einsamkeit noch.
In einem verrückten Anfall von Arroganz hatte ich Jules zehntausend Francs im Monat versprochen. Ich brauchte diese übertriebene Zusage natürlich nicht einzuhalten; ich besaß die Macht, diesem unglücklichen kleinen Mann für den Rest seines Lebens Angst einzujagen. Aber ich haßte gebrochene Versprechen und uneingelöste Verpflichtungen, ich haßte es, mein Wort nicht zu halten. Enttäuschung war ein so ermüdendes Gefühl: Zuerst vergeudet man Energie mit schmerzlicher Hoffnung und dann mit müßigem, hoffnungslosem Groll.
Ich mußte also ohne große Verzögerung zehntausend Francs im Monat auftreiben, sonst würde ich binnen zwölf Monaten wieder ein armer Mann sein. Und das wäre mir gar nicht recht! Man gewöhnt sich an ein bequemes Einkommen. Geld polstert die harten Kanten vieler unangenehmer Situationen im Leben; es macht einen wunderbar unabhängig. Und ganz abgesehen von Jules, hatte ich auch noch einige Gewohnheiten zu finanzieren. Ich ließ mich gern von exklusiven Schneidern geschmackvoll einkleiden; ich hatte es gern, wenn meine Umhänge und Mäntel und Hemden aus allerbestem Material genau auf meine Bedürfnisse zugeschnitten waren. Ich wollte all die schönen Bücher der Welt, um sie an den Wänden meiner Bibliothek aufzureihen; ich wollte die fortschrittlichsten wissenschaftlichen Materialien, die zu haben waren, für meine Forschungen. Ich brauchte Morphium und gelegentlich ein wenig Nahrung. Ayesha liebte Räucherlachs und Kaviar. Ich konnte mir wirklich nicht vorstellen, wie ich mit weniger als zwanzigtausend Francs im Monat auskommen sollte.
Absurd! Soviel Geld bekommt man nicht ohne weiteres. Doch plötzlich hatte ich eine herrliche, unerhörte Idee.
Die Idee selbst war eigentlich nicht neu, aber ihre Anwendung. Vor Jahren, als ich insgeheim an meinen Geheimgängen arbeitete,
kam mir der Gedanke, daß ein Mausoleum dieser Größe eigentlich
unbedingt einen Geist braucht. Geister sind Zeugen der Vergangenheit; sie geben einem Gebäude Charakter, ein Flair von Geheimnis
und verborgenem Zauber.
»Es sollte wirklich einen Geist geben«, hatte ich halb spöttisch,
halb ernst zu Garnier gesagt, als wir wieder an der Oper zu arbeiten anfingen. Er hatte nur herzlich gelacht und gesagt, dafür werde das
Budget nicht reichen.
Ja, zuerst war der Geist nicht mehr als ein Scherz, aber später fing
ich an, gewisse Möglichkeiten für mich selbst zu sehen. Schließlich hatte ich Erfahrung. Ich war schon früher ein Geist gewesen, und zwar ein außerordentlich guter. Ich hatte meine Mutter
halb verrückt gemacht, noch ehe ich zehn war, und damals hatte ich
es nicht einmal darauf angelegt. Ich war sozusagen dazu berufen.
Gewiß war dies eine Rolle, die mir gut lag.
Am Anfang war es einfach ein Spiel. Ich ließ gelegentlich zu, daß
jemand einen Blick auf mich erhaschte, wenn ich durch die oberen
Korridore spazierte, ich erschien und verschwand mittels meiner
sorgfältig versteckten Falltüren und verborgenen Gänge. Eine Reihe
von kleinen Tricks und Illusionen trug sehr zu meinem furchteinflößenden Ruf beim corps de ballet bei, größtenteils dummen jungen
Mädchen, die entzückt waren, von einem Schatten und einer körperlosen Stimme halb zu Tode erschreckt zu werden. Bald konnten
sie in den Garderoben über nichts anderes mehr reden als »über den
Geist«. Diejenigen, die mich tatsächlich gesehen hatten, waren privilegierte Wesen und hatten ein Recht auf respektvolles Schweigen,
wann immer sie anfingen, ihre Erzählungen auszuschmücken. Natürlich, sie alle waren schreckliche kleine Aufschneiderinnen, aber
wen störte das schon – mich gewiß nicht. Es gibt keine Legende ohne künstlerische Freiheit, keine Geschichte, die nicht von der furchtbaren Phantasie des Erzählers profitiert. Und was hatten diese Mädchen für eine Phantasie! Manchmal war sie besser als meine, und
gelegentlich machte ich mir zu späterer Verwendung Notizen. Das Spiel war also bereits gut eingeführt, als ich allmählich erkannte, wie es mir mehr einbringen könnte als ein herzhaftes Lachen. Der Operngeist wurde seiner Rolle als unbezahlter Unterhalter müde. Vielleicht war es an der Zeit, bei der Theaterleitung um
eine Gage einzukommen.
Je mehr ich darüber nachdachte, desto besser gefiel mir die
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