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Kay Susan

Titel: Kay Susan Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Das Phantom
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Seltenes und Kostbares gestoßen war.
Mein Begleiter verursachte beim Gehen nicht mehr Geräusche als eine Katze, und da es noch zu früh war, um seinen Schatten auf den Mauern zu sehen, die wir passierten, hatte ich das seltsame Gefühl, ein Geist folge mir.
Die Baustelle, die ich ihm zeigen wollte, lag nicht weit entfernt, der Bau sollte in ein paar Wochen fertiggestellt sein, und ich war ziemlich zufrieden mit dem Resultat. In den letzten fünfzehn Jahren hatte ich hauptsächlich Auftragsarbeiten durchgeführt, dabei aber nie die Kontrolle über die höchste Präzision der Detailarbeit aufgegeben. Die feinen Reliefs an den Kapitellen und Simsen, die Steinmetzarbeiten an Bögen und Maßwerk betrachtete ich noch immer als meinen ausschließlichen Bereich, trotz der Verschlimmerung der Arthritis, und hier konnte ich ihm den guten Geschmack reiner, klarer Linien und Formen zeigen, eine Kunstfertigkeit, die die natürliche Schönheit des Steins zur Geltung brachte.
Er war beeindruckt. Er sagte nichts, aber seine wortlose Zustimmung überspülte mich wie eine arme Welle und gab mir das Gefühl, ich hätte gerade der alten Steinmetzgilde mein Meisterstück vorgestellt. Ein seltsames Gefühl für einen Mann, der fünfundvierzig Jahre mit seinem Handwerk zugebracht hat!
Ich ließ ihm Zeit, sich das ganze leere, widerhallende Gebäude anzusehen, alles zu berühren, Fragen zu stellen, gelegentlich eine Kritik anzubringen, die mich durch ihre Treffsicherheit und Klarsicht und die unheimliche Widerspiegelung meiner eigenen Ansicht verblüffte.
Als wir durch die Ankunft des Zimmermeisters und seines Gesellen im Hof gestört wurden, versteckte sich der Junge sofort in einer Mauernische.
»Ich muß weg«, flüsterte er. Die Augen hinter der Maske suchten schon nach dem kürzesten Fluchtweg.
Ich legte eine Hand auf seinen mageren Arm, um ihn zurückzuhalten.
»Wo wohnst du?« fragte ich.
»Ich wohne nirgends.« Er starrte auf meine Hand, machte jedoch keinen Versuch, sich aus meinem Griff zu lösen. Er sah sie nur an, als könne er nicht glauben, daß ich ihn berührt hatte ohne die Absicht, ihm Schmerz zuzufügen. »Ich ziehe von einem Jahrmarkt zum andern. Ich hörte, daß es in Trastevere einen gibt, also habe ich meine Pferde außerhalb der Stadtmauern gelassen und mich umgesehen, solange es auf den Straßen still ist.«
Während er geistesabwesend sprach, legte er einen Finger auf meinen Handrücken und fuhr den knotigen Adern nach, die meine trockene, runzlige Haut durchzogen, rauh und weiß nach jahrelangem Kontakt mit Steinstaub.
»Ich muß gehen«, wiederholte er traurig.
»Aber du könntest zurückkommen«, schlug ich vor und wunderte mich über mein unerklärliches Widerstreben, ihn in den labyrinthischen Straßen Roms ein für allemal verschwinden zu sehen. »Du wirst zurückkommen, nicht wahr? Ich habe dir noch so viel zu zeigen.«
Im Hof unter uns trafen jetzt weitere Männer ein, die einander begrüßten und die Hitze verfluchten, die sich schon so früh über die Stadt zu legen begann und den feuchten Boden dampfen ließ. Der Junge schaute durch die noch unverglasten Fenster nach unten, und jede Linie seines mageren Körpers verriet, daß er sich in einem quälenden Konflikt befand. Da erkannte ich – vielleicht hatte ich das schon vom ersten Augenblick an gewußt –, daß er tief in Schwierigkeiten steckte. Andererseits konnte ich nicht glauben, daß er ein schlechter Kerl war; nicht, nachdem er meine Hand mit der stillen Verwunderung eines unschuldigen Kindes berührt hatte.
»Komm zurück!« wiederholte ich fest. »Morgen früh in der Dämmerung treffen wir uns hier.«
Er wandte sich um und sah mich prüfend an, als wolle er von meinem faltigen Gesicht die Aufrichtigkeit ablesen, die er in meiner Stimme gehört hatte.
»Bei Morgendämmerung«, wiederholte er leise.
Schwere Fußtritte waren auf dem Treppenabsatz vor der Zimmertür zu hören. Ohne ein weiteres Wort glitt der Junge durch den leeren Fensterrahmen und sprang fast geräuschlos in den darunterliegenden Hof.
Als ich zum Fenster ging, um ihm nachzuschauen, war er bereits verschwunden.
2. Kapitel
    Mit achtundfünfzig Jahren war ich alt in einem Handwerk, in dem man traditionell früh stirbt. Ständiger Staub und feine Splitter verstopfen mit den Jahren die Lungen des Steinmetzes, und die harte Knochenarbeit läßt auch die Muskeln des kräftigsten Mannes ermatten. Wenige von uns erreichten das vierzigste Jahr ohne den quälenden Husten, der das Grab

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