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Kay Susan

Titel: Kay Susan Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Das Phantom
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schönsten Pferde, die ich je gesehen hatte. Das eine war schwarz, das andere schneeweiß; beide waren Stuten, wie ich bemerkte. Sie waren sorgfältig gestriegelt und trugen gut ausgewogene Packtaschen, aber weder Sättel noch Zaumzeug.
    Ich fragte ihn, wie er die Tiere ohne Zügel unter Kontrolle halten könne.
»Ich benutze nie Zaumzeug«, sagte er kühl. »Das ist eine unnötige Grausamkeit. Die Pferde gehorchen mir freiwillig.«
Da merkte ich, daß er die Pferde nicht führte, sondern daß sie ihm einfach nachliefen wie Hunde. Als wir stehenblieben, band er sie nicht an, sondern hob einfach eine Hand, um beide kurz zu streicheln, ehe er sich abwandte, um die Aussicht zu betrachten.
Nach einer Weile fragte er: »Diese beiden Türme da . . . Zu welchem Bauwerk gehören sie?«
»Zur Villa Medici.«
Er reagierte auf diese Worte, als hätte ich ihn geschlagen, und wandte sich mit geballten Fäusten ab, als könne er den Anblick nicht ertragen.
»Du hast von der Villa Medici schon gehört?« fragte ich verwundert.
»O ja«, sagte er, »ich habe von ihr gehört.« Er zog scharf den Atem ein und fuhr dann fort: »Die Akademie, die sich darin befindet, steht nur ausgebildeten Künstlern, Musikern und Architekten offen. Der Eintritt wird durch einen Wettbewerb streng geregelt, den Grand Prix de Rome.«
Da ich die gallige Bitterkeit nicht begriff, die plötzlich von ihm ausging, konnte ich ihn nur anstarren und mich fragen, wie ein Zigeunerjunge solche Kenntnisse erworben hatte und warum deren Erwähnung ihn so heftig in Wut zu bringen vermochte.
Er wandte sich abrupt von mir ab und kehrte zu den Pferden zurück, als wolle er ohne ein weiteres Wort davonreiten. Doch als die weiße Stute sanft an seiner Maske knabberte, sah ich, wie er langsam wieder die Kontrolle über seinen angespannten Körper gewann. Nach einem Augenblick kam er zögernd zu mir zurück.
»Es tut mir leid«, sagte er einfach. »Ich wollte nicht unhöflich sein. Wenn Sie mir verzeihen können, Signor, würde ich gern sehen, was Sie mir sonst noch zeigen möchten.«
Ein seltsamer, verwirrender Knabe; doch je mehr ich von ihm sah, desto stärker fühlte ich mich zu ihm hingezogen, desto überzeugter war ich, daß wir einander gegenseitig brauchten.
Ich nahm seine entwaffnende Entschuldigung ohne Zögern an.
»Komm«, sagte ich mit der gleichen Einfachheit wie er, »laß mich dir das Colosseum zeigen.«
    Im Laufe der folgenden beiden Wochen trafen wir einander weiterhin in regelmäßigen Abständen, und die Tage, an denen ich ihn nicht sah, waren mit einer Rastlosigkeit angefüllt, die ich kaum begreifen konnte. Persönliche Auskünfte gab er nur mit allergrößtem Widerstreben, als könne die kleinste Vertraulichkeit eine gefährliche Lücke in seine Abwehr gegen die Welt reißen.
So dauerte es fast eine Woche, ehe er mir seinen Namen und die Tätigkeit verriet, die er auf dem Jahrmarkt in Trastevere ausübte.
    »Ich führe Zauberkunststücke vor«, gab er mit entschuldigendem Achselzucken zu. »Eigentlich keine sehr guten Zauberkunststücke, aber die Leute sind leicht zu unterhalten.«
    Er zeigte mir seine leeren Handflächen, griff dann mit einer theatralischen Bewegung in der Luft nach einer Geldbörse und ließ sie in meine Hand fallen.
    Es war meine Geldbörse!
»Ich sehe, daß du nicht zu verhungern brauchst«, sagte ich trocken und schob die kleine Lederbörse wieder in meine Tasche. »Warum hast du sie nicht behalten? Ich hätte es nicht gemerkt.«
»Sie fühlte sich nicht voll genug an«, meinte er lakonisch.
»Aber andere behältst du?«
»Oh, ja«, bekannte er fröhlich.
»Du schämst dich also nicht, Menschen zu bestehlen?«
»Nein«, sagte er einfach, »ich mag die Menschen nicht.« Einen Augenblick lang zögerte er, dann fügte er mit kaum hörbarem Flüstern hinzu: »Im allgemeinen jedenfalls nicht.«
Ich dachte an Trastevere, einen der zwielichtigsten Bezirke Roms, die Heimat von Scharlatanen und Gaunern der schlimmsten Sorte; und ich dachte an seine Hände, jene schlanken, behenden Instrumente seiner Missetaten, die soviel edlere Verwendung finden könnten, wenn nur . . . wenn nur . . .
»Ich denke, du solltest den Vatikan sehen«, sagte ich.
Ich sorgte dafür, daß wir den Petersdom erreichten, als die große Basilika noch leer war, bis auf einen einzelnen demütigen Pilger, meinen Begleiter. Etwa zwei Stunden lang sah ich zu, wie er die architektonischen Herrlichkeiten vergangener Jahrhunderte erforschte. Sein staunendes Entzücken

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