Kay Susan
durchschneidet, und daß er nicht die Absicht hatte, mich wegen meiner Börse zu ermorden. Das einzige Wort, das er sagte, war so wundervoll artikuliert und moduliert, daß ich keinen anderen Wunsch im Kopf hatte, als ihn nochmals sprechen zu hören.
»Sprichst du Italienisch?« fragte ich neugierig.
»Ja, Signor.« Er schien erstaunt, daß ich ihm eine ganz normal höfliche Frage gestellt hatte.
»Du hast unbefugt ein privates Grundstück betreten. Verstehst du, daß ich dich dafür verhaften lassen könnte?«
Sofort wurde das Messer wieder gehoben, aber mit einer müden Halbherzigkeit, die mir plötzlich den Mut gab, seine Hand wegzuschieben.
»Nimm um Himmels willen das verdammte Ding fort, Junge, du machst mich ganz nervös. So . . . das ist schon besser. Und nun sag mir, was du hier suchst.«
»Ich habe nichts gestohlen!« sagte er rasch und schaute ziemlich hilflos auf das Messer hinunter, als wisse er auf einmal nicht mehr, was er damit tun sollte. »Ich habe auch nichts beschädigt.«
»Das sehe ich«, sagte ich mit trockener Ironie. »Noch niemand hat Steine beschädigt, indem er sie nur streichelte.«
Sichtlich verlegen hob er eine Hand an die Maske. »Wie lange haben Sie mich beobachtet?«
»Lange genug, um zu wissen, daß ich nicht einem Dieb bei der Arbeit zusah«, sagte ich ruhig. »Du interessierst dich offenbar für Steinmetzarbeiten. Möchtest du vielleicht die Pläne sehen?«
Er sah mich forschend an, als wolle er herausfinden, ob ich mich über ihn lustig machte, doch dann merkte ich, daß er seinen natürlichen Argwohn aufgab, als ich nach den Papieren in meiner Tasche griff.
»Danke«, sagte er automatisch, nahm mir die Blätter aus der Hand und breitete sie auf einer trockenen Stelle unter dem Gerüst aus. Er erinnerte mich an einen Schuljungen, dem man in einem langen und mühsamen Prozeß gute Manieren eingeprügelt hat, und ich war erschrocken, als er einen Wutschrei ausstieß, der fast ein Schluchzen war.
»Nein, das ist falsch!« sagte er zornig. »Es ist schlecht und falsch, überhaupt nicht so, wie ich . . . Wie können Sie es ertragen, etwas so Vulgäres zu bauen?«
Ich stieß einen leisen Seufzer aus bei der unangenehmen Erinnerung daran, daß meine erste Reaktion auf diese Pläne sehr ähnlich gewesen war.
»Dieser Bau wird nach den genauen Vorschriften eines reichen, aber unkultivierten Kunden errichtet«, erklärte ich geduldig. »Weißt du, ein Architekt muß essen, und ein Baumeister ebenfalls. Wenn wir nur bauen würden, um unsere eigene Eitelkeit zu befriedigen, dann würden wir sehr bald verhungern.«
Ich beobachtete, wie er düster auf die Zeichnung starrte.
»Ich würde lieber verhungern!« sagte er mit außerordentlicher Leidenschaft. »Ich würde lieber verhungern, als häßliche Häuser zu bauen!«
Ich glaubte ihm. Der Ton seiner Stimme erfüllte mich mit Unbehagen. Es war, als sei häßlich das schlimmste Schimpfwort in seinem Wortschatz.
»Du bist also hier in Rom in der Lehre?« fragte ich nach einer Pause.
»Nein, Signor.« Bildete ich mir das nur ein, oder versteifte er sich bei meiner Frage?
»Aber du interessierst dich für Architektur, nicht wahr? Du liebst schöne Bauwerke?«
»Ich habe früher ein wenig studiert«, räumte er vorsichtig ein. »Vor langer Zeit, als Kind.«
Er konnte nicht älter sein als dreizehn, und doch sprach er von seiner Kindheit, als liege sie schon viele Jahrzehnte hinter ihm. Er verwirrte und beunruhigte mich mit seiner traurigen, wachsamen Würde und seiner blitzschnellen Reaktion auf Bedrohung. Ich wollte wissen, wer er war, woher er kam und warum er die Manieren eines jungen Herrn mit der Unverfrorenheit eines Wegelagerers verband.
Merkwürdigerweise erregte die Maske meine Neugier am wenigsten.
»Ich habe noch weitere Baustellen«, sagte ich zu ihm, »und ich glaube, du wirst feststellen, daß nicht alle meine Kunden ohne Geschmack sind. Wenn die Gesellschaft eines alten Mannes dir nicht widerstrebt . . . «
Ich streckte die Hand aus, um über die Straße zu zeigen, und nach einem letzten Augenblick des Zögerns richtete er sich auf und folgte mir.
Ein seltsames Hochgefühl durchfuhr meine dünnen Adern, als ich mich auf den Weg machte. Ich sah mich nicht um, sondern vertraute darauf, daß er mir nicht bei nächster Gelegenheit in den Rücken stechen oder fliehen würde. Meine Besorgnis war verflogen wie der Morgennebel und hatte ein eigenartiges, pochendes Glücksgefühl hinterlassen, ein Bewußtsein, daß ich auf etwas sehr
Weitere Kostenlose Bücher