Kay Susan
ankündigt, aber ich hatte mehr Glück gehabt als die meisten. Meine Lungen hatten erst vor etwa einem Jahr angefangen, mich die düsteren Zeichen des Verfalls spüren zu lassen.
In meiner Laufbahn hatte es einige besondere Momente gegeben. Meine Arbeit mit Giuseppe Valadier an der Piazza del Popolo hatte mir den Ruf eines der hervorragendsten Steinmetze Roms eingebracht. Meine privaten Arbeiten wurden so wohlwollend aufgenommen, daß ich Baumeisteraufträge bekam und wohlhabend wurde. Infolgedessen war es mehr als zehn Jahre her, daß ich einen Steinmetzlehrling eingestellt hatte.
Der letzte Junge war für mich eine schwere Enttäuschung gewesen. Sechs Monate schlampiger Arbeit und ein einziges läppisches Werkstück reichten aus, um mich davon zu überzeugen, daß dieser Bursche des Könnens unwürdig war, das ich zu vermitteln hatte. Ich löste seinen Lehrvertrag ohne Gewissensbisse und lehnte es ab, auf weitere Empfehlungen einzugehen. Ich sagte mir, ich sei jetzt in vieler Hinsicht zu alt und zu ungeduldig, um mich noch mit unerfahrenen Händen herumzuärgern und die allgemeine Störung hinzunehmen, die ein junger Mann im Haushalt verursacht. Ich wußte, daß kaum jemand aus meinem Beruf noch einen Lehrling ins Haus nahm; sie gaben sich damit zufrieden, daß die Jungen in ihrem Elternhaus blieben und sich durch die Fürsorge der Mutter verweichlichen ließen. Ich selbst war immer für die alten Methoden eingetreten, die großen Traditionen gotischer Baumeister. Ein junger Steinmetz sollte sich in jeder Weise nach seinem Meister richten, und wie ist das möglich, wenn der Knabe nicht an dessen Herd sitzt, sein Brot ißt, seine Luft, seine Ansichten, sein ganzes Wesen einatmet?
Ich war alt, und meine Lungen begannen zu versagen, aber ich kann nicht behaupten, dies sei der einzige Grund für meine Unzufriedenheit gewesen, das nagende Gefühl der Enttäuschung, das mir beinahe jede Freude an meinem Erfolg raubte. Selbst in meiner besten Zeit hatte ich nie einen Lehrling gefunden, der nicht froh gewesen wäre, sein tägliches Arbeitspensum hinter sich zu haben, begierig, seinen Vergnügungen nachzugehen, sich abends auf den Straßen herumzutreiben und mit einem neuen Liebchen in dunklen Hauseingängen zu poussieren. Ich pflegte mir zu sagen, das würde anders, wenn ich einen Sohn hätte, der mir in meinem Handwerk nachfolgte. Obwohl ich meine Saat eifrig und begeistert ausstreute, wartete ich jedoch umsonst auf die höchste Belohnung. Drei Töchter zeugte ich, schlichte, pflichtbewußte Mädchen, die sich gut verheirateten und mir nie einen Augenblick Sorgen machten.
Und dann kam Luciana zur Welt.
Meine Frau weinte vor Kummer in der Nacht, in der Luciana geboren wurde. Ich selbst beugte mich pflichtschuldigst über die Wiege und bereitete mich darauf vor, meine bittere Enttäuschung verbergen zu müssen. Doch in dem Augenblick, in dem ich die Decken auseinanderfaltete, um sie, die vierte Tochter, zu betrachten, staunte ich über das Wesen, das mich begrüßte. Es sah nicht aus wie die verschrumpelte Pflaume, die ich in neugeborenen Kindern sonst sah. Schon damals war Luciana schön, und ihre winzige Hand, die sich um meinen Finger schloß, war nur ein Symbol für die Zähigkeit, mit der sie in den kommenden Jahren mein Herz gefangennehmen sollte.
Luciana kam nie mit ihrer Mutter aus, nicht einmal als kleines Kind. Immer, wenn ich nach Hause zurückkehrte, hörte ich Klagen über unerträgliches Verhalten, und ein heißes, tränennasses Gesicht vergrub sich in meinem Mantel. Nie hätte ich mir träumen lassen, daß ich sie eines Tages um meiner eigenen geistigen Gesundheit willen aus dem Haus schicken würde. Nie hätte ich mir das träumen lassen.
Aber ich will nicht an Luciana denken! Nicht jetzt!
Ich will statt dessen an den Jungen denken, den Jungen, der mein Sohn hätte sein sollen.
»Ich möchte alles sehen«, sagte er als Antwort auf meine Frage, als wir uns früh am nächsten Morgen mit der lächerlichen Heimlichkeit junger Liebender trafen.
»Du verlangst nicht wenig«, sagte ich mit einem Lächeln. »Aber wenn du wirklich die ganze Stadt auf einen Blick sehen willst, dann steigst du am besten auf den Janiculum-Hügel. Von dort aus hat man den schönsten Blick über Rom.«
Wir schwiegen, während wir die steile Straße erklommen, die sich unter den Pinien auf den Kamm des Hügels hinaufwand, doch unser Schweigen gab mir Gelegenheit, ihn bei Tageslicht genauer zu betrachten. Er führte zwei der
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