Kay Susan
. .
Die Tasten unter Eriks Finger senkten sich und ließen eine Reihe reicher, melodischer Akkorde erklingen, die einen Augenblick mit widerhallender Süße in der Luft hingen, ehe sich von neuem drückendes Schweigen ausbreitete.
Endlich drehte er sich um und sagte leise, aber entschieden:
»Ich würde gern mein Zimmer sehen. Bitte!«
3. Kapitel
In den ersten paar Wochen beschäftigte ich ihn nur auf dem Steinmetzhof und nur in Abwesenheit meiner anderen Arbeiter unter meiner ausschließlichen Aufsicht.
Noch immer zeigte er keine Neigung, seine Maske abzunehmen, und ich wußte, daß ihn dieses exzentrische Verhalten auf einer Baustelle unweigerlich in Schwierigkeiten bringen würde.
Sehr bald bearbeitete er den Stein, als sei er mit einer Steinmetzaxt in der Hand zur Welt gekommen. Vielleicht hätte ich ihm die Leichtigkeit übelnehmen sollen, mit der er meine Fertigkeiten übernahm, aber ich konnte mich nur über seine verblüffende Lernfähigkeit wundern. Er schien eins zu sein mit dem Stein, instinktiv seine Stärken und Schwächen zu spüren und ihn mit so ehrfürchtigem Respekt zu behandeln, als sei das Material ein lebendiges Wesen. Er weigerte sich, die Steinmetzhandschuhe zu tragen, die ihn vor Verletzungen schützen sollten; er wollte immer den Stein unter seinen nackten Fingern spüren und wies oft auf Fehler im Korn hin, die vielen erfahreneren Augen vielleicht entgangen wären.
Sehr viel eher, als ich gehofft hatte, kam der Tag, an dem ich wußte, daß er in diesem ummauerten Bereich nichts mehr lernen konnte; ich nahm ihn also mit zu einer meiner Baustellen und übergab ihn der Obhut Calandrinos, eines Vorarbeiters, dem ich vertraute. Mehrere junge Arbeiter waren dort tätig, und mit großem Unbehagen bemerkte ich die Rippenstöße und bedeutungsvollen Seitenblicke, die zwischen ihnen getauscht wurden.
Als ich um die Mittagsstunde zur Baustelle zurückkam, ruhten sich die Männer von der für die Jahreszeit ungewöhnlichen Hitze aus. An der unheilverkündenden Schnelligkeit, mit der der Vorarbeiter zu mir kam, merkte ich sofort, daß es Schwierigkeiten gegeben hatte.
»Dieser neue Junge ist gefährlich!« sagte der Mann grimmig, während er seine staubigen Hände an der Steinmetzschürze abwischte.
Ich runzelte die Stirn.
»Du findest ihn nicht lernwillig? Nicht aufmerksam . . . nicht respektvoll?«
»An seiner Lernbereitschaft habe ich nichts auszusetzen, Signor. Er hat mir den ganzen Morgen lang das Hirn aus dem Kopf gefragt – er hat mich ausgesaugt wie einen Schwamm!«
»Nun, was ist es dann?« fragte ich mit wachsender Gereiztheit.
»Ich bitte um Verzeihung, Signor, aber ich würde sagen, er ist nicht ganz richtig im Kopf. Er hätte vor einer halben Stunde beinahe zwei unserer Burschen umgebracht. Ich mußte Paolo nach Hause schicken, damit er sich den Arm verbinden läßt. Es war eine scheußliche Messerwunde. Ich bezweifle, daß er für den Rest der Woche arbeiten kann.«
»Ich nehme an, Erik wurde provoziert«, sagte ich kühl.
»Davon weiß ich nichts, Signor«, sagte Calandrino unsicher. Er konnte meinem Blick nicht mehr standhalten. »Aber ich weiß, daß er sich wie ein verrückter Wilder benommen hat. Als ich eingriff, um sie zu trennen, dachte ich, er würde auch auf mich losgehen, und ich muß Ihnen sagen, Signor, daß ich mir das zweimal überlegt habe, ehe ich mich einmischte, weil er doch das Messer in der Hand hatte. Er kann damit umgehen, daran gibt es keinen Zweifel.«
»Aber er hat dich nicht verletzt.«
»Nun ja, nein«, gab der Vorarbeiter widerwillig zu. »Nach einer Weile schien er wieder zur Besinnung zu kommen und wich zurück. Aber Sie können den anderen Burschen keine Schuld geben, Signor, es war nur ein Spaß. Sieht so aus, als hätten sie einen Blick unter die Maske werfen wollen, was ja wohl verständlich ist.«
»Aha! Zuerst sagtest du doch, du wüßtest nicht, was passiert ist.«
Unter seiner Sonnenbräune wurde der Mann sehr rot und zuckte die Achseln.
»Jungen sind Jungen, Signor, aber wenn Sie meine Meinung hören wollen, dann sollte dieser da eingesperrt werden. Bei ihm stimmt einiges nicht, wenn ich mich nicht sehr täusche!«
»Deine Meinung interessiert mich nicht!« sagte ich mit gemessenem Zorn. »Du sollst in meiner Abwesenheit besser auf die Leute achtgeben. Wenn du dazu nicht imstande bist, ist es vielleicht Zeit, dir eine andere Stellung zu suchen. Und was die Arbeiter angeht, so kannst du ihnen sagen, daß ich sie nicht beschäftige, damit sie
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